Vortrag von Dr. Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik:

„Deutsche Sicherheitspolitik zwischen transatlantischer Krise
und europäischer Selbstbehauptung“

Die Bundesakademie für Sicherheit (BAKS) mit Sitz (seit 2003) in Berlin ist eine in der Öffentlichkeit eher unbekannte Einrichtung. 1992 in Bonn gegründet, war diese Zurückhaltung durchaus gewollt. Mit dem 2015 beschlossenen neuen Akademiekonzept wurden aber neue Schwerpunkte gesetzt. Gravierendste Neuerung ist wohl die Öffnung des bisherigen sicherheitspolitischen Diskurses der Bundesakademie in die breite Öffentlichkeit hinein, sprich in die Diskussion mit der Bevölkerung, um bei dieser - und nicht nur für Führungskräfte und Experten – „ein umfassendes Verständnis der langfristigen sicherheitspolitischen Ziele und Interessen Deutschlands zu fördern“.

Ressortübergreifende Sicherheitspolitik

Vor diesem neuen Hintergrund wurde es auch auf Einladung der CDU Lahn-Dill und ihres Vorsitzenden MdB Hans-Jürgen Irmer möglich, den Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Dr. Karl-Heinz Kamp, für ein öffentliches Referat in Tasch's Wirtshaus in Wetzlar zu gewinnen. Die BAKS ist die zentrale Weiterbildungseinrichtung des Bundes für ressortübergreifende Sicherheitspolitik, wobei ein Team aus sieben Bundesministerien und dem Bundeskanzleramt, dem die Einrichtung untersteht, zusammenarbeitet.

Da Sicherheitspolitik bekanntermaßen ein kontrovers-streitbares Thema ist, müsse sie besser erklärt werden, so Kamp, der das Publikum - begrenzt auf einige wichtige Themen - unter dem Titel „Deutsche Sicherheitspolitik zwischen transatlantischer Krise und europäischer Selbstbehauptung“ mit auf eine Tour d'Horizon aktueller Probleme, Konflikte, Herausforderungen, deren Einschätzung und mögliche Lösungspotentiale nahm.

Problem Russland

Als erstes beleuchtete Kamp den „grundlegenden Konflikt mit Russland“. Russland habe ein anderes Verständnis von Demokratie und vielem anderen mehr und sehe den Westen als „dekadent“ an. „Russland denkt wieder in Einflusssphären nach alter sowjetischer Tradition“, so der Akademiechef. Während der Westen jedem Staat Souveränität zubillige, tue Russland genau dies nicht, sondern beanspruche eine „strategische Tiefe des Raumes zum eigenen Schutz“, was im Zuge der Nato-Erweiterung zu den bekannten politischen Konflikten führte.

Was nach dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes nicht mehr für möglich gehalten wurde, ist seit 2014, Stichwort Ukraine, zurückgekehrt: „Russland ändert Grenzen wieder mit Gewalt.“ Dieser grundlegende sicherheitspolitische Klimawandel hat laut Kamp die bis dahin praktizierte europäische Sicherheitspolitik zerstört. Und das im Blick auf die Nato mit der dramatischen Folge, „dass wir wieder in einer Artikel-5-Welt leben“. Der „Bündnisfall“ werde wieder konkret, „die Verteidigungsfähigkeit muss untermauert werden“.

Jeder gegen jeden im Nahen Osten

Im Nahen und Mittleren Osten herrschen laut Kamp Chaos und Zerfall. Dabei handele es sich nicht um Krisen oder Revolutionen, denn diese gehen wieder vorbei. „Was in dieser ohnehin instabilen Region geschieht, geht weit über das hinaus, was wir dort je gesehen haben: eine dauerhafte Erosion staatlicher Ordnung“, ist sich Kamp sicher. Das „alte Libyen“ werde es nicht mehr geben, gleiches gelte für Syrien. Es drängten sich gar Parallelen zum 30-jährigen Krieg auf. Auch vor 400 Jahren habe gegolten: „Jeder gegen jeden und jeder mal mit diesem oder jenem gegen andere.“ Und: der 30-jährige Krieg hatte keinen Sieger, sondern endete in der Ermattung, Kraft- und Machtlosigkeit aller Beteiligten.

Eine Intervention, beispielsweise der Nato, ist laut Kamp in einer Krisenregion ohne Staaten aber nicht mehr möglich. In Libyen seien 150 Milizen zugange, in Syrien noch mehr. „Wir sehen das Leiden und wissen nicht, was wir tun sollen.“ Wenn eine Befriedung von außen aber nicht möglich sei, müssten wir in Europa und Deutschland mit den Folgen leben, mit Migration und leider auch mit islamistischem Terrorismus. Und so sieht Kamp leider voraus, dass auch Deutschland weitere terroristische Anschläge erleben wird.

Auch im asiatisch-pazifischen Raum brauen sich laut Kamp gefährliche Konflikte zusammen. Er nannte beispielhaft fünf Atommächte in der Region: China, Indien, Pakistan, Nord-Korea und Russland, dazu als sechste die USA – „und alle sind in herzlicher Abneigung miteinander verbunden.“ Eine ernsthafte militärische Auseinandersetzung in Asien gefährde auch vitale Lebensinteressen Europas.

Europa am Ende?

Alle genannten Punkte - und etliche mehr - träfen auf ein Europa, das in sich verunsichert und instabil ist. Es sei „bizarr“ zu sehen, wie Italien die nationalen Interessen gegen die EU vertrete und dabei die eigene Unfähigkeit zur Reform der EU anlaste. Ähnliche populistische Strömungen und Bestrebungen, die alle die Grundlagen der Gemeinschaft ablehnen, sieht Kamp, der nach eigenen Angaben keiner Partei angehört, in nahezu allen EU-Ländern. Das führt ihn zu einer harten Analyse: „Die Existenz der EU, die in ihren Grundfunktionen nicht mehr funktioniere, ist nicht mehr gesichert, die Konsens-EU gibt es nicht mehr.“

Hinzu komme „unter einem nie verlässlichen Präsidenten das vermeintliche Ende der USA als westliche Führungsmacht“. Mit sich selbst beschäftigte und tief gespaltene Vereinigte Staaten, ein Präsident, der Inkompetenz als Wert verkörpere und Lüge als politisches Stilmittel einsetze, all das werde mit dramatischen Folgen dazu führen, dass die USA als Führungsmacht des politischen Westens ausfallen.

Für „Idee des Westens“ kämpfen

Angesichts der Gesamtlage weiß Kamp, „dass die deutsche und europäische Sicherheitspolitik auf Hochtouren läuft“. Das dabei Erreichbare sei allerdings eher minimal, „weil wir an die Grenzen politischer Gestaltungsfähigkeit stoßen“. Dennoch müsse für die „Idee des Westens“ wesentlich mehr gekämpft werden, „weil sie eine gute und tragfähige Idee ist“. Und dabei sei die sicherheitspolitische Erkenntnis der Kanzlerin schlüssig: „Ich kann mir die Krisen nicht aussuchen, die ich lösen muss, ich kann mir auch die Leute nicht aussuchen, mit denen ich das tun muss.“

Über den Autor

Franz Ewert

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