Wieder ein besonderer Reisebericht des Historikers Dr. Marc Steinbrecher im Rahmen des Jahresabschlusses der Deutsch-Österreichischen Gesellschaft Wetzlar
Eritrea: Verschlossenes Land, gastfreundliche Menschen
- aber nicht das „Nordkorea Afrikas“
Erklärtes Ziel der - bei weiterhin steigender Tendenz - mittlerweile auf 315 Mitglieder angewachsenen Deutsch-Österreichischen Gesellschaft (DÖG) Wetzlar ist es, die Städtepartnerschaft Wetzlar-Schladming (Steiermark) mit Leben zu füllen, sich darüber hinaus für ein „Europa der Vaterländer“ einzusetzen und auf diese Weise einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten. Doch bisweilen weitet sich der Blick der DÖG über den europäischen Rahmen hinaus. Dann nämlich ist der Historiker Dr. Marc Steinbrecher zu Gast. Im Hauptberuf ist der 36-Jährige Bildungsreferent in Diensten der CDU-Landtagsfraktion in Wiesbaden. Seine Passion gilt dem Reisen. Nicht im Mainstream, sondern individuell, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und Fotografin Susanne Thüringer und zu Zielen, die sich nicht sofort als Reiseziele im klassischen Sinne erweisen. So berichtete er am letzten Samstag im November vor rund 100 DÖG-Mitgliedern in Tasch's Wirtshaus von seinen Erkundungen in Eritrea am Horn von Afrika. Begrüßt wurden Steinbrecher und Thüringer vom DÖG-Vorsitzenden Hans-Jürgen Irmer und vom Wetzlarer Partnerschaftsdezernenten Karlheinz Kräuter.
Der Referent rückte dabei aufgrund seiner allgemeinpolitischen Kenntnisse und gemachter Erfahrungen vor Ort einige hierzulande gängige Meinungen, gar Klischees, über Zustände und Wirklichkeit in diesem Fünf-Millionen-Einwohner Land zurecht, das zu den weltweit ärmsten zählt - auf dem Index der menschlichen Entwicklung steht es an 179. Stelle von 189 Staaten. Steinbrecher und Thüringer besuchten mit den vor Ort vorhandenen öffentlichen Verkehrsmitteln, vor allem Busse, die Hauptstadt Asmara, Keren im Norden und die Hafenstadt Massawa am Roten Meer. Und dies vor dem Hintergrund eines allerdings kaum beachteten historischen Ereignisses, nämlich dem erst kürzlich erfolgten Abschluss eines Friedensvertrages zwischen Äthiopien und Eritrea, das nach zweieinhalb Jahrzehnten einen der blutigsten und zugleich sinnlosesten Kriege um ein paar Quadratkilometer Geröllwüste, strategisch völlig nutzloses Land, und ein 1500-Seele-Dorf beendete.
Eritrea, mit 120.000 Quadratkilometern ein Drittel so groß wie Deutschland, wurde 1993 - bis dahin äthiopische Provinz - selbständig. Die Präsidialrepublik mit dem Einparteiensystem wird wegen ihres Abgeschottetseins und unterdrückter Pressfreiheit oft als „Nordkorea Afrikas“ bezeichnet. Das Negativbild Eritreas wird von den - ebenso gastfreundlichen wie zurückhaltenden - Bewohnern des Landes aber nicht geteilt und auch nicht so empfunden, hat Steinbrecher festgestellt. Richtig ist, dass ein erheblicher Prozentsatz der Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen und kommen, Eritreer sind, meist junge Männer. Fakt sei auch, dass sich viele Äthiopier als Eritreer ausgeben, um leichter nach Deutschland zu kommen. Und bekannte Schilderungen von Flüchtlingen, die von Gräueln in Eritrea berichten, dienen laut Steinbrecher meist als Mittel zum Zweck, nämlich leichter Asyl in Europa, vorzugsweise in Deutschland, zu erhalten. Ist ein eritreischer Asylbewerber einmal anerkannt, kann er, so die Erfahrung Steinbrechers vor Ort, ungehindert wieder in seine Heimat ein- und auch wieder ausreisen. Wenn er denn seine „Auslandssteuer“ bezahlt hat, auf die der Staat Eritrea so sehr angewiesen ist.
Diesem Exodus stellt sich die eritreische Regierung also keineswegs in den Weg, mitnichten versuche das Regime in Asmara, die jungen Männer an der Flucht zu hindern, liegt diese doch quasi im existentiellen Interesse des Staates, der die auf diese Weise zustande kommenden Auslandsüberweisungen dringend brauche. Sie sind laut Steinbrecher gar eine der wichtigsten Einnahmequellen eines Landes, dessen Wirtschaft aufgrund der Abschottung und im sozialistischen System begründeter Fehlentwicklungen am Boden liege.
Der Referent ermöglichte einen insgesamt völlig anderen Blick auf ein hierzulande fast unbekanntes Land und versorgte sein hundertköpfiges Publikum in Wort und Bild mit historischen wie aktuellen politischen und gesellschaftlichen Informationen und Zusammenhängen rund um Eritrea, von dessen Fünf-Millionen-Bevölkerung rund zwei Millionen orthodoxe Christen sind. Eine weitere große Gruppe bilden die Katholiken, Muslime sind eine Minderheit im Land. Die Hauptstadt Asmara mit ihrem italienischen Flair ist von christlichen Kirchen geprägt.