Warum heißt ein Wirkstoff eigentlich Wirkstoff?

Glyphosat –
der Versuch der Demontage eines Wirkstoffes

Warum heißt ein Wirkstoff eigentlich Wirkstoff? Natürlich deshalb, weil er eine Wirkung auf etwas ausüben soll: auf Bakterien, Viren, Insekten, Unkräuter, Mäuse oder andere Schaderreger. Wenn Sie ein Antibiotikum, ein Putzmittel oder Mottenkugeln kaufen, erwarten Sie von dem Produkt eine Wirkung. Um nun genau diese Wirkung zu erzielen und ansonsten für Mensch, Tier und Umwelt so verträglich wie möglich zu sein, durchlaufen solche Produkte einen Zulassungsprozess durch staatliche Behörden.

In der Landwirtschaft ist das nicht anders. Der Landwirt kauft Pflanzenschutzmittel, um seine Kulturpflanzen vor Schaderregern – hauptsächlich Pilzen, Unkräutern oder Insekten – zu schützen, die ansonsten die Saat, die wachsenden Pflanzen oder die Ernte in der Scheune schädigen, im schlimmsten Fall vernichten würden. Auch Pflanzenschutzmittel für die Landwirtschaft durchlaufen natürlich einen Zulassungsprozess, sowohl in der Europäischen Union als auch in Deutschland. Dieser Prozess ist sehr streng, Herstellerfirmen und wissenschaftliche Einrichtungen müssen aufwändige Untersuchungen mit diesen Substanzen durchführen, um zum einen die Wirkung auf die sogenannten Zielorganismen, zum anderen die Unbedenklichkeit gegenüber anderen Organismen zu belegen. Wegen dieses Zulassungsprozesses gehören Pflanzenschutzmittel zu den am besten untersuchten Substanzen, die es gibt.

Und natürlich würde auch ein Landwirt nicht einfach ein Produkt bezahlen und Arbeitszeit in die Ausbringung stecken, wenn die gewünschte Wirkung unnötig wäre oder gar ausbliebe.

Sicher und gut untersucht

Glyphosat ist ein solches Pflanzenschutzmittel. Ein Herbizid, um genau zu sein. Es bekämpft Pflanzen an Stellen, wo man sie nicht haben möchte. Als Totalherbizid verfügt es über einen Mechanismus, alle Pflanzen, die damit behandelt werden, zu beseitigen: Es blockiert die Produktion von Aminosäuren, die Pflanzen zum Wachstum brauchen. Dieser Stoffwechselweg kommt ausschließlich in Pflanzen, Pilzen und Bakterien vor, nicht in Mensch und Tier.

Dieser schon 1974, in Deutschland erstmals 1975 zugelassene Wirkstoff gilt als sicher und sehr gut untersucht. Alle zehn Jahre durchläuft er eine sogenannte Re-Registrierung: Eine Prüfung durch die internationalen Zulassungsbehörden bezüglich der Anwendung und eventuell neu auftretender toxischer Wirkungen. Deshalb hatten sich nach dem Auslaufen des Patents, das Monsanto als „Erfinder“ der Substanz bis zum Jahr 2000 darauf hatte, auch schnell über 40 Hersteller gefunden, die heute mehr als 300 Produkte mit diesem Wirkstoff anbieten.

In der Landwirtschaft darf der Wirkstoff Glyphosat nur noch in wenigen Fällen angewendet werden. Dazu zählt die Anwendung nach der Ernte einer Kultur und vor der nächsten Saat. Ziel dieser Anwendungen ist, das auf dem Feld stehende Unkraut zu minimieren, um den nachfolgenden Kulturpflanzen Platz, Nährstoffe und Wasser zu sichern. Dabei verringert das Herbizid vorübergehend die Biodiversität auf dem Feld. Den gleichen Effekt hat aber auch die Hacke.

Landwirte verwenden das Produkt teilweise, wenn sie konservierende Bodenbearbeitung betreiben, also nicht pflügen. Aber auch beim Pflügen kommt es gegen Wurzelunkräuter zum Einsatz. Landwirte die auf intensive Bodenbearbeitung, wie den Pflug verzichten schützen damit das Bodenleben, denn Kleintiere auf und nahe der Bodenoberfläche werden im Unterschied zur Arbeit mit der Hacke nicht getötet. Diese Verfahrensweise verhindert Erosion und den Abbau von Humus. Da sie ohne Pflug die Unkrautsamen nicht in tiefere Bodenschichten vergraben können, benutzen Landwirte den Wirkstoff, um den Unkrautbewuchs zu reduzieren. Auch beim Anbau von Zwischenfrüchten, die den Boden lockern, Erosion vermeiden und organischen Stickstoff anreichern, ist das Herbizid nützlich, um nicht abgefrorene Zwischenfrüchte am Ende des Winters zu spritzen und das Feld für die Aussaat der Sommerfrüchte vorzubereiten.

Wie geht es nun weiter?

Nach der nach langem Hin und Her im Dezember durch die EU-Kommission ausgesprochenen Verlängerung des Wirkstoffes um fünf Jahre müssen nun alle Hersteller für jedes einzelne glyphosathaltige Produkt bei den deutschen Zulassungsbehörden eine neue Zulassung beantragen. Europaweit trifft das für 600 bis 700, in Deutschland für etwa 60 bis 100 Produkte zu. Über die Anträge soll – theoretisch – innerhalb von neun Monaten entschieden werden. Angesichts des Staus, in dem viele Pflanzenschutzmittel wegen der überlangen Bearbeitungszeiten durch die zulassenden Behörden stecken, keine sehr wahrscheinliche Option. Außerdem haben einige Politiker und Nichtregierungsorganisationen schon angekündigt, nach der Zulassung des Wirkstoffs die Zulassung der einzelnen Produkte für Deutschland auf jeden Fall verhindern zu wollen.

Woher kommt die Diskussion um den Wirkstoff?

Warum aber wird dieser bewährte Wirkstoff nun auf einmal so vehement bekämpft? Dafür gibt es mehrere Ursachen. In erster Linie wird hier ein Stellvertreterkrieg geführt: Weltweit nimmt der Glyphosatverbrauch wegen des steigenden Anbauanteils gentechnisch veränderter Kulturen durchaus zu. Viele Kulturpflanzen – darunter Mais, Soja, Raps oder Baumwolle – wurden durch gentechnische Veränderungen dazu gebracht, eine Behandlung mit dem Wirkstoff Glyphosat zu überleben. Immer mehr Farmer nutzen dieses praktische Anbausystem. Nicht so bei uns: In der EU ist der Anbau dieser sogenannten Roundup-Ready-Kulturen mit breiter Zustimmung der landwirtschaftlichen Praxis verboten.

Ein weiterer Grund für den Kampf gegen den Wirkstoff ist sicherlich der Name „Monsanto“, der wegen anderer, nicht in der Landwirtschaft eingesetzter Mittel, vielen Menschen aus der Historie in unguter Erinnerung ist. In der aktuellen Diskussion geht es aber um Glyphosat, das heute von über 40 Herstellern in verschiedenen Produkten für den Einsatz innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft angeboten wird.

Und schließlich wird der Wirkstoff Glyphosat manchmal als Synonym für „industrialisierte“ Landwirtschaft gesetzt. Dabei ist diese Landwirtschaft in erster Linie eines: effizient. Sie verhindert, dass weitere Flächen für die landwirtschaftliche Produktion in Kultur genommen werden müssen, die stattdessen als Naturschutzflächen für Biodiversität sorgen können. Und: Diese Art der Landwirtschaft schont das Bodenleben. Davon weiß die Öffentlichkeit leider zu wenig.

Dabei sind die Auflagen für zulässige Anwendungen hoch und ausgebrachten Mengen ziemlich gering: Das für die zugelassene Wirkstoffmenge zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit legte fest, dass glyphosathaltige Produkte nur zweimal im Jahr auf eine Fläche ausgebracht werden dürfen – in einer Menge von unter 3,6 kg Wirkstoff pro Hektar. Das entspricht 0,36 g je Quadratmeter, etwa dem Gewicht von drei Briefmarken.

Was würde nun passieren, wenn nach dem Wunsch der Glyphosatgegner das Produkt in fünf Jahren nicht verlängert wird? Der Pflugeinsatz würde zunehmen, weil die Landwirte das Unkraut anderweitig bekämpfen müssen. Das würde Bodenleben zerstören, Treibstoffverbrauch und Arbeitszeit würden steigen. Die Erosion und in der Folge Überschwemmungen würden zunehmen und durch den Humusabbau würden jede Menge Treibhausgase aus dem gepflügten Boden freigesetzt werden. Gleichzeitig würde der Zwischenfruchtanbau sinken, was eine stärkere mineralische Stickstoffdüngung nach sich ziehen würde. Auch das erhöht den Treibhausgasausstoß und die Nitratbelastung des Grundwassers.

Dass ein Verbot positive Auswirkungen haben könnte, erwartet in der wissenschaftlichen Welt eigentlich niemand, weil der vielbeschworene Zusammenhang zwischen Glyphosat und Bienen- bzw. Insektensterben oder Artenschwund wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden kann.

Fazit

Sicherlich läuft nicht alles nach Wunsch. Es werden Fehler gemacht und in Einzelfällen die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten. Gelangt Wirkstoff durch Punkteinträge direkt in Oberflächenwasser, so haben wir ein Problem. Denn im Wasser ist der Wirkstoff recht stabil und lange nachweisbar. Solche Einträge müssen aufhören. Dennoch sei daran erinnert: Auch wenn solche Punkteinträge nachgewiesen wurden, waren diese Funde doch nie auch nur in der Nähe eines Grenzwertes.

In der Diskussion entwickelt sich die Gesellschaft weiter und legt neue Maßstäbe fest. Wie es aktuell mit dem Ausstieg aus der Atomkraft und der Weiterentwicklung der Elektromobilität passiert. Künftig könnte für eine weitere Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes der Verkauf dieser an Nichtsachkundige verboten und die Suche nach Alternativlösungen für die Flächen der Deutschen Bahn vorangetrieben werden. In der Landwirtschaft könnte der sinkende Trend der Glyphosat-Nutzung durch Preislenkung, Steuern, Verkaufsreglementierungen und Vorgaben zu Gewässerabständen weiter vorangetrieben werden.

Wichtig ist, in dieser Diskussion sachlich zu bleiben und Faktenwissen als Entscheidungs-kriterium zu nutzen sowie eine verantwortliche und sachgemäße Anwendung weiterhin zu fördern. Es macht keinen Sinn, einen anerkannten und wichtigen Pflanzenschutzwirkstoff wegen eines diffusen Unbehagens und der Agitation einzelner Interessensgruppen zu verbieten.

Dr. Jana Epperlein
Gesellschaft für konservierende Bodenbearbeitung (GKB) e.V., Neuenhagen b. Berlin

 

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