Europaweite Renaissance der Kernkraft

Deutschland, der Geisterfahrer

Man ist fast geneigt zu sagen, über Europa lacht die Sonne und über Deutschland lacht die Welt, wenn es nicht so traurig wäre, was sich in den letzten Jahren in Deutschland in Sachen Energiewende abgespielt hat.

Deutschland ist das einzige Land, das ernsthaft glaubt, bei mehr oder weniger gleichzeitiger Abschaltung von Kernkraft- und Kohlekraftwerken, bei Zubau von Gaskraftwerken, obwohl man Erdgas ablehnt, den Primär-Energiebedarf, den eine Industrienation hat, aus erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind decken zu können.

Auch andere Staaten um Deutschland herum, setzen durchaus auf Erneuerbare, da wo es Sinn macht. Aber sie haben alle (!) erkannt, dass eine industrielle Volkswirtschaft nicht vom Wetter abhängig gemacht werden kann. Und es gibt genügend Monate im Jahr, in denen weder die Sonne scheint noch kräftige Winde wehen, um entsprechende Energiemengen zu produzieren, die man benötigt. Der Anteil des erzeugten Stromes aus Erneuerbaren an der Primärenergie (!!!) liegt bei ca. 10 Prozent in Deutschland.

Es gibt nicht genügend Stromnetze. Tausende Kilometer müsste man noch bauen mit zig Milliarden Aufwand. Es gibt nicht ansatzweise genügend Speicherkapazitäten in entsprechender Größenordnung, und es gibt keinerlei grundlastfähigen Kraftwerke, welcher Art auch immer, die in der Lage sind, dann einzuspringen, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Von den geplanten Habeck´schen Gaskraftwerken ist bis heute kein einziges gebaut. Zwölf oder mehr wird man mit Milliardenaufwand benötigen. Vor 2030 wird kein einziges in Kraft treten, wenn überhaupt. Bis dahin will man aber Kohle bereits abgeschaltet haben, so wie man irrsinnigerweise Kernkraft abgeschaltet hat.

Rot-grüne Ideologie pur

Eine nicht mehr vorhandene Diskussionskultur erschwert die Debatte in Deutschland. Da nimmt die jetzige Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) an einem Treffen atomkraftfreundlicher EU-Staaten teil und wird vom SPD-Koalitionspartner dafür ebenso kritisiert wie von Grünen und Umweltschützern. Ja, wo leben wir denn eigentlich? Es ist die Pflicht einer Ministerin, auch an solchen Treffen teilzunehmen und in Erfahrung zu bringen, warum andere Staaten in Europa das anders machen als wir.

Was macht Europa anders?

Frankreich, das ohnehin die größte Atomnation Europas ist, plant für die Elektrifizierung von Heizung, Industrie und Verkehr derzeit sechs neue Reaktoren an bestehenden Standorten und prüft die Errichtung von acht weiteren.

Tschechien, Rumänien und Bulgarien wollen mit jeweils zwei neuen Reaktoren ihre Kapazitäten erweitern.

Polen ist in die Atomkraft eingestiegen. Dort wird ein AKW mit US-Technik gebaut. (Früher galt Deutschland als Exporteur von Kernkraftwerkstechnologie und konnte entsprechend qualifizierte Arbeitsplätze anbieten. Heute sind die entsprechenden Fachleute Mangelware.)

Finnland und die Slowakei haben vor zwei Jahren bereits neue Reaktoren in Betrieb genommen.

Die Niederlande planen bis 2040 vier neue große Reaktoren.

Großbritannien will seinen bestehenden Kraftwerkspark bis 2050 stark ausbauen.

Selbst Schweden, das in den vergangenen zehn Jahren vier Reaktoren stillgelegt hat, hat sich seit 2023 zu einem Vorreiter der nuklearen Expansion entwickelt. In den kommenden 20 Jahren sollen dort bis zu zwölf neue Reaktoren gebaut werden.

In Belgien ist Mitte Mai dieses Jahres der 2003 beschlossene Atomausstieg aufgehoben worden. Neubauten sind jetzt wieder möglich.

Spanien, bisher der zweitgrößte Atomstromproduzent der EU, hat beschlossen, die 2019 vorgesehene Abschaltung der bestehenden Reaktoren, die ein Fünftel des verbrauchten Stromes produzieren, zu überprüfen.

Die USA wollen ihre Kernkraftwerke bis 2050 vervierfachen.

Neue Verfahren

Abgesehen von herkömmlichen Kraftwerken gibt es heute ganz unterschiedliche Modelle und Entwicklungen, die soweit gehen, dass Brennstäbe, die als Endlagerproblematik bekannt waren, wiederverwendet werden können. Es gibt sogenanntes Small-Modular-Reactors (SMR), die auf Kernkrafttechnologie basieren, aber klein sind, so dass sie in einer Fabrik vorgefertigt, montiert und dann zu einem Standort transportiert werden können. Es gibt den Dual Fluid Reaktor, perspektivisch die Fusionstechnologie und vieles anderes mehr.

Deutschland schaltet den Verstand ab

All diese genannten Länder und andere in anderen Kontinenten, die an dieser Stelle bewusst gar nicht erwähnt worden sind, setzen auf eine Renaissance der Kernkraft, weil sie wissen, Kernkrafttechnologie ist erstens CO2-frei, zweitens umweltfreundlich, drittens jederzeit verfügbar, so dass das Problem und die Gefahr von Blackouts nicht vorhanden sind, und sie ist viertens preiswert. All den Spökes, den Deutschland mit Klimafonds, Subventionen, zusätzlicher CO2-Besteuerung macht und damit letzten Endes die Strom- und Energiepreise nach oben getrieben hat, wären völlig unnötig, wenn man flächendeckend wieder auf Kernkraft setzen würde.

In Deutschland hat es die Kernkraft, obwohl die Union im Wahlkampf sich dafür ausgesprochen hat, leider noch nicht einmal in den Koalitionsvertrag geschafft. Noch nicht einmal die Förderung und Forschung war es der SPD wert, im Koalitionsvertrag verankert zu werden. Eine Politik zu Lasten des Standortes Deutschland, der auf dem Weg der Deindustrialisierung ist.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier

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