Absurder NPD-/Wagner-Vergleich

Bundesverfassungsgericht rügt SPD-OB Wagner und Regierungspräsidium

Deutscher Richterbund: „Verstoß gegen Rechtsstaatlichkeit“

In der WNZ vom 4.4.2018 gab es eine ausschließlich von der Redaktion zu verantwortende Zwischenüberschrift mit der Formulierung „Irmer vergleicht Wagner mit Neonazis“. Ein solcher Vergleich sei absurd, so Irmer. Diese von ihm ausdrücklich nicht autorisierte Zwischenüberschrift sei objektiv falsch.

Inhaltliche Kritik an Wagner bleibt

Losgelöst von dieser Klarstellung bleibt inhaltlich allerdings schon der Vorwurf, dass der Oberbürgermeister sich aufgrund seines aus Sicht der CDU rechtswidrigen Verhaltens politisch auf eine Stufe mit denen stellt, die er bekämpfen will. Zu einem gleichen Ergebnis kommt im Übrigen auch die Sonntags-FAZ vom 8.4.2018, in der es wörtlich heißt: „Mit seiner Weigerung, sich zu beugen, begibt sich der Wetzlarer Oberbürgermeisters auf das Niveau jener Pegida-Demonstranten, die ebenfalls eine ‘Pflicht zum Widerstand’ für sich reklamieren und unseren Rechtsstaat am liebsten in die Tonne treten möchten, um an dessen Stelle ihre eigene Herrschaft zu etablieren. Unser Rechtsstaat hingegen schützt die Rechte des Individuums und somit auch die einer Minderheit gegen den Willen der Mehrheit, diese Rechte zu verkürzen. Dies gilt erst recht für Hoheitsträger, die verpflichtet sind, ausschließlich nach Recht und Gesetz zu handeln. Alles andere ist nicht Widerstand, sondern Rechtsbeugung.“

Auch die „Süddeutsche Zeitung“ wies darauf hin, dass die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Gießen, des Verwaltungsgerichtshofs Kassel und letzten Endes des Bundesverfassungsgerichts der Stadt Wetzlar „keinerlei Befugnis“ gegeben habe, der NPD die Stadthalle nicht zur Verfügung zu stellen. Die von der Stadt vorgebrachten Einwände lieferten keinen triftigen Grund, eine höchstrichterliche Entscheidung zu unterlaufen. Deshalb hatte der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, die Kommunalaufsicht angewiesen, der Sache nachzugehen, denn ein kommunales Rechtsungehorsam wird dort nicht als Lappalie betrachtet. Wenn das Schule machen könnte, so die SZ, könnten Kommunal- oder auch Landespolitiker, wo auch immer, populäre politische Entscheidungen zu Lasten des Gerichtes fällen. Damit aber wird das höchste deutsche Gericht ad absurdum geführt.

Richter-Schelte

Ein Sprecher des Verwaltungsgerichts Gießen kritisierte das Verhalten der Stadt diplomatisch zurückhaltend damit, dass dies ein „beachtlicher Vorgang“ sei, dass sich eine Stadt nicht (!) an die Rechtsprechung halte. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, kritisierte in Berlin das Verhalten der Exekutive, also der Regierung, scharf: „Die Vertreter der Exekutive rund um Oberbürgermeister, Landrat und Regierungspräsidium haben sich indiskutabel verhalten.“ Das Verhalten der Stadt sei ein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit.

Kein willentlicher Verstoß?

Das Regierungspräsidium Gießen hatte für viele Juristen, aber auch für die CDU-Kreistagsfraktion nicht überzeugend eine wachsweiche Erklärung dazu erstellt nach dem Motto, dass sich die Stadt eigentlich in einer Notlage befunden und nicht willentlich einen Verstoß begangen habe. Eine sehr merkwürdige Begründung. Beim nächsten Knöllchen wegen Falschparkens wird dann der Bürger in logischer Konsequenz dessen, was das RP mitgeteilt hat, argumentieren können, man habe sich ja an die bestehenden Verordnungen halten wollen, aber leider keinen ordnungsgemäßen Parkplatz gefunden, so dass man gezwungen gewesen sei, falsch zu parken. Willentlich sei dies ja nicht geschehen. Spätestens an diesem Beispiel wird die Absolität der Kommunalaufsicht deutlich.

Nachhilfe für Kommunalaufsicht

Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht aktuell unmissverständlich der Kommunalaufsicht gegenüber bedeutet, dass sie klarzustellen hat, dass Kommunen Entscheidungen aus Karlsruhe künftig befolgen. Um Kommunen künftig nicht zu überfordern, sollten Städte und Gemeinden die Ablehnung einer Hallenvergabe mitteilen müssen oder dabei durch „den Kronus Monitoring“ überwacht werden. Wie die Verfassungshüter ferner mitteilten, bestanden demnach bei der Stadt „offensichtlich Fehlvorstellungen über die Bindungskraft richterlicher Entscheidungen und den noch verbleibenden Spielraum für eigenes Handeln“. Übersetzt formuliert: Die Stadt war nicht in der Lage, die Rechtskraft eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zu erkennen. Note 6. Die fehlende Erkenntnis lässt sich auch 1:1 auf die SPD-Landtagsfraktion übertragen, denn deren parlamentarischer Geschäftsführer Rudolph hatte - mit Sicherheit in Abstimmung mit seinem Fraktionsvorsitzenden Schäfer-Gümbel - nichts Eiligeres zu tun, als der Stadt beizuspringen. Ein merkwürdiges Rechtsverständnis.

Unnötige Aufwertung der NPD

Man fragt sich als politisch interessierter Bürger, unabhängig von dem Rechtsbruch der Stadt Wetzlar, ob die ganze Angelegenheit überhaupt notwendig war. Die NPD hat mit ihren Provokationen eine maximale Aufmerksamkeit erreicht - und das ist genau das, was sie, da sie politisch und parlamentarisch völlig bedeutungslos ist, auf die Art und Weise erreichen will. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht erklärt, dass die NPD verfassungsfeindlich sei, hat aber gleichzeitig darauf verzichtet, sie zu verbieten, weil sie völlig bedeutungslos ist. Letzterem ist zuzustimmen. Wäre sie allerdings konsequenterweise verboten worden, müsste man die Debatte heute nicht führen. Aber solange die NPD nicht verboten ist, hat sie, ob einem das passt oder nicht, das gleiche Recht wie alle Parteien auch, öffentliche Säle in Anspruch zu nehmen. Dass sie dabei parteiübergreifend bekämpft wird, ist richtig. Aber manchmal ist weniger mehr.

Peinliche SPD-Anzeige

Manchmal ist es klüger, ein oder zwei Nächte über einen Vorgang zu schlafen, bevor man sich öffentlich äußert. Dies hätte auch SPD-Landrat Schuster tun sollen, der auf Facebook die Qualifikation der höchsten deutschen Richter bezweifelt hatte, sie als „Problembär in Robe“ titulierte und ihnen Weiterbildung empfahl. WNZ-Kommentator Linker hatte in einem bemerkenswerten Kommentar Schuster dafür kritisiert. Dieser betreibe genau das, was er zu Recht an den Rechtsextremen kritisiere und er entpuppe sich in diesem Fall als Populist. So seien in den Kommentaren auf Schusters Facebook-Seite die obersten Richter als „Sesselpupser“ diffamiert worden. Wer aus politischen Interesse, so Linker, die Autorität des Bundesverfassungsgerichts angreife, vergreife sich an der Demokratie. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Schuster ruderte denn auch durch das Löschen des entsprechenden Eintrages zurück, um dann eine SPD-Anzeige zu veröffentlichen, in der er davon sprach, dass er als Sozialdemokrat für eine unabhängige Justiz eintrete. Das sollte doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Schließlich hat er auch einen Amtseid auf die Verfassung geleistet und in unserer Verfassung gibt es eine klare Rollenverteilung: die Gewaltenteilung zwischen der Exekutive, der ausführenden Gewalt, das sind die Regierungen, der Legislative, der gesetzgebenden Gewalt, das sind die Parlamente, und der judikative, der rechtsprechenden Gewalt. Es ist gut und richtig, auch dies eine Lehre aus der Nazi-Diktatur, dass Politik rechtlich nicht in der Lage ist, Gerichten Weisungen, welcher Art auch immer, zu erteilen. Die richterliche Unabhängigkeit ist ein hohes Gut. Wenn allerdings dann Repräsentanten der Exekutive, wie Oberbürgermeister oder Landrat, Beschlüsse missachten oder sich im Ton vergreifen, legen sie die Axt an die Wurzel unseres Rechtsstaates.

Aktuelle Ausgabe10/2024