Deutschlands Abstieg auch im Sport unverkennbar

Eine zielgerichtete Förderung fehlt ebenso,
wie Bekenntnis zur Leistung und Elite

Haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, in den letzten Jahren einmal vor einem öffentlichen Publikum gefordert, dass wir in Deutschland mehr Leistung benötigen, eine größere Leistungsbereitschaft, mehr Anerkennung von Leistung oder auch eine Förderung von Eliten? Für viele politisch Verantwortliche ist das im Sinne der Gleichmacherei völlig verpönt. Leistung ist vielfach gleich Strebertum, Leistung ist gleich Benachteiligung derer, die diese oder jene Leistung nicht erbringen können. Kurzum, wenn über Jahre hinweg Leistung negativ konnotiert wird, muss man sich nicht wundern, wenn bei aller herausragenden Qualität der einzelnen Sportler, auch bei Olympia, immer weniger dazu bereit sind, sich zu quälen, weil häufig eben die gesellschaftliche und politische Anerkennung von Leistung fehlt. Von der finanziellen Förderung ganz zu schweigen.

Leistung muss sich lohnen?

Wie ein Mantra wird dies gerade in der Wirtschaftspolitik immer wieder vor sich hergetragen. Leistung müsse sich lohnen. Derjenige, der arbeite, müsse deutlich mehr in der Geldbörse haben als derjenige, der nicht arbeitet. Das Bürgergeld aktuell ist das klassische Gegenbeispiel dafür, auch ein Sinnbild dafür, dass sich Leistung eben nicht lohnt. Und wenn dann noch staatlicherseits die Bundesjugendspiele abgeschafft werden, weil es Kinderseelen nicht zumutbar sei, dass sie bei den Bundesjugendspielen keine Urkunde bekommen, weil sie die entsprechenden Zeiten und Weiten nicht erreichen, dann ist das ein fatales Signal. Kinder wollen sich miteinander messen. Sie sind stolz darauf, wenn sie eine Urkunde bekommen, noch stolzer, wenn sie eine Ehrenurkunde bekommen. Und das ist auch Ansporn zugleich für diejenigen, die keine Urkunde erhalten haben, das nächste Mal vielleicht doch eine zu bekommen oder aus einer Urkunde eine Ehrenurkunde zu machen. Aber all das ist verpönt. Dazu zählt auch die die Abschaffung von Leistungsklassen im Jugendbereich des Fußballs beim Deutschen Fußballbund.

Das sagen ehemalige Spitzensportler

Der frühere Radprofi André Greipel sagte zu der Thematik, dass „oft nicht der Wille da sei, sich zu quälen“. Jochen Behle, ehemaliger Skilanglauftrainer, wies darauf hin, dass die trainingsintensiven Sportarten es immer schwerer hätten. Die ehemalige Doppelolympiasiegerin im Bahnradfahren, Kristina Vogel, kritisierte, dass bei den Bundesjugendspielen die Wertungen abgeschafft wurden, die Weite im Kugelstoßen beispielsweise nicht mehr gemessen werde, so dass sich die Frage stelle, warum soll ich Leistung bringen? Ein fatales Signal. Felix Neureuther, ehemaliger Skirennläufer, machte deutlich, dass die Sportnote in der Schule wieder etwas wert sein müsse. Ich denke, sie haben alle recht.

Deutschlands Medaillenbilanz

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Schaut man sich die Entwicklung an, wird unschwer erkennbar, dass sich der deutsche Leistungssport seit Jahrzehnten im Sinkflug bewegt. Wir haben 428 Sportler nach Frankreich geschickt. Es gibt 28 Millionen Menschen in Deutschland, die in 86.000 Vereinen Sport treiben. Damit sind das 9 Millionen mehr als die Niederlande Einwohner hat. Trotzdem sind die Niederländer auf Platz 8 im Nationenranking. Es ist also Handlungsbedarf angesagt.

Was sagen die Sportfunktionäre?

Olaf Tabor, der für den Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund zuständig ist, erklärte im Anschluss an die Spiele, dass man eine bessere Talentsuche und Talentförderung benötige und internationale Trainingsgruppen. DOSB-Präsident Thomas Weikert kritisierte, dass sich Bundestrainer von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln müssten und häufig dann entweder in den Schuldienst abwanderten oder ins Ausland gehen würden. Es gebe darüber hinaus einen Sanierungsstau im Bereich der Sportstätten in Deutschland in der Größenordnung von 31 Milliarden Euro.

Was also ist zu tun?

Diese Aufzählungen erfüllen auch nicht ansatzweise den Anspruch, vollständig zu sein. Aber ich denke, es sind Anregungen, die es wert sind, bedacht zu werden. Christian Neureuther hat sich beispielsweise für ein Sportministerium auf Bundesebene mit entsprechenden Fachleuten (!!!) ausgesprochen, die für die Sache des Sportes brennen, wissen, wovon sie sprechen, wo die Probleme sind. Eberhard Gienger, langjähriger Abgeordneter des Deutschen Bundestages für die CDU-Fraktion, ehemaliger Olympiasieger im Turnen, wäre beispielsweise ein idealer Sportminister für Deutschland gewesen, wenn es auch zu früheren Zeiten bereits ein eigenes Sportministerium gegeben hätte.

Solche Leute, die wissen, worum es geht, benötigt man. Und wenn Kristina Vogel davon spricht, dass man auch finanzielle Anreize setzen muss, hat sie recht. Sie hat sich dafür ausgesprochen, dass eine Million Euro für einen Olympiasieg angemessen seien, steuerfrei wohlgemerkt, und nicht wie jetzt aktuell 20.000 Euro, vermutlich auch noch zu versteuern. Ob es diese Größenordnung sein muss oder eine andere, sei dahingestellt. Wenn man sieht, was ohnehin extrem hoch bezahlte Fußballprofis vom Deutschen Fußballbund als Prämie erhalten bei Europa- oder Weltmeisterschaften, dann können „normale“ Sportler davon nur träumen. Ein absolutes Missverhältnis. Und jeder, der Leistungssport betrieben hat oder betreibt, weiß, welche unglaublich hoher zeitlicher Aufwand damit verbunden ist.

Sportuniversitäten

Wir brauchen in Deutschland Sportuniversitäten, wo man das eigentliche studierte Fach optimal kombinieren kann mit den sportlichen Möglichkeiten. Wir werden das College-System der USA nicht 1:1 kopieren können, aber man kann davon lernen. Wenn beispielsweise die Universität in Stanford (Kalifornien), 17.500 Studenten, rund 150 Millionen Euro pro Jahr in die Athleten investiert, Deutschland bei 82 Millionen Einwohnern 350 Millionen, und diese Studenten 27 Medaillen in Paris holen im Vergleich zu Deutschland mit 33, dann wird deutlich, dass hier durchaus Anlass gegeben ist, darüber nachzudenken. Positiv kann man unseren Zehnkämpfer Leo Neugebauer sehen, der Silber holte und in Texas studiert.

Sportinternate

Wir brauchen in den Ländern sogenannte Sportgymnasien oder Sportinternate, ob in Vollzeit oder Teilzeit sei dahingestellt. Wir brauchen in den Ländern Sportministerien, am besten mit ehemaligen Spitzensportlern. Wir brauchen feste Anstellungsverhältnisse für Spitzenbundestrainer, die damit eine Absicherung haben und durchaus mit Boni versehen werden könnten, wenn ihre betreuten Sportler entsprechende Platzierungen bei internationalen Wettbewerben einfahren. Wir benötigen deutschlandweit Sportstättenausbauprogramme, Sportstättenentwicklungspläne in allen Landkreisen.

Stabstellen Sport

Wir benötigen Stabstellen Sport in den Kreisverwaltungen, zumindest ehrenamtliche Sportdezernenten in den Kreisen. Auch diese sollten entsprechende eigene sportliche Erfahrungen haben. Und wir müssen über eine deutliche Erhöhung der Jugendförderung nachdenken. Wenn Sportvereine für ihre Jugendlichen 2,50, 3 oder 5 Euro an Zuschuss bekommen, dann sind das lächerliche Beträge. Da ist der Verwaltungsaufwand höher als das Auszahlen.

Scouts

Wir benötigen Scouts in den Schulen, die gezielt nach Bewegungstalenten Ausschau halten. Wir brauchen aber auch die Sportlehrer, die sehr schnell erkennen, ob jemand motorisch für die eine oder andere Sportart geeignet ist. Wir müssen ihnen die Chance geben, dies beispielsweise an Scouts weiterzugeben, um Kinder zu einem relativ frühen Zeitpunkt zu ermuntern, diese oder jene Sportart auszuüben, zumindest probeweise, wobei selbstverständlich klar ist: Im Gegensatz zu diktatorischen Staaten ist bei uns alles freiwillig, und das bleibt auch so. Vieles bei uns bleibt in Sachen Sportförderung dem Zufall überlassen. Was sich zunehmend auch als Problem herauskristallisiert, ist die deutliche Abnahme motorischer Fähigkeiten von Kindern, die deutliche Zunahme an übergewichtigen Kindern, und das hängt mit vielen Faktoren zusammen. Das wäre ein eigenes Thema.

Bewegte Grundschule

Aber wenn Kinder und Jugendliche, allgemein formuliert, täglich statistisch gesehen zwischen vier und sechs Stunden an Geräten oder in sozialen Netzwerken unterwegs sind, dann fehlt die Zeit für anderes. Bewegung in der Natur, Bewegung im Verein, Bewegung zu Hause. Man sollte verstärkt über die sogenannte „bewegte Grundschule“ nachdenken. Warum kann man nicht morgens vor Unterrichtsbeginn 10 Minuten Gymnastik machen? Das ist im Übrigen gut für die Konzentrationsfähigkeit im anschließenden Unterricht. Warum kann man Kindern nicht einen Schulweg von 15 oder 20 Minuten per pedes zumuten? Stattdessen steht das Elterntaxi vor der Tür. Kurzum, es gibt eine Fülle von Stellschrauben. Andere Länder machen es uns vor.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier

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