Dramatisch sinkende Auflagenzahlen der Zeitungen
27,3 Millionen 1991, 12,2 Millionen 2021
Wie lange gibt es noch Zeitungen?
Die Gründe für das Zeitungssterben sind vielschichtiger Natur. Sie haben sich in den letzten wenigen Jahren beschleunigt. Explodierende Papierpreise, explodierende Energiekosten - gleichzeitig schreiben rot-grün-gesonnene Journalisten die Energiewende schön und merken nicht, dass sie den Ast, auf dem sie sitzen, selbst absägen -, drastische Erhöhung des Mindestlohnes, erhöhte Transportkosten durch CO2-Abgabe und Mautgebühren, sinkende Anzeigenerlöse, das sind einige wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die man als Erklärung sicherlich heranziehen kann. Dass auch die neuen Medien, sprich soziale Netzwerke welcher Art auch immer, einen Anteil haben, gehört sicherlich zur Wahrheit hinzu.
Zu den erstgenannten Themen kommen viele Kritikpunkte aus der Leserschaft, die sich zunehmend entmündigt vorkommt. Es gibt einen Mainstream in der Presse, der die Vielfältigkeit der Leser (und der Käufer) nicht ansatzweise gerecht abbildet, so dass aufgrund der politischen Einseitigkeit viele Kündigungen erfolgt sind. Es gibt eine zunehmende Monopolisierung. Der sogenannte Mantel, also der überregionale Teil, wird von wenigen Monopolisten gestellt. Für die lokalen Seiten bleibt nicht mehr viel übrig. Die Zahl der hauptamtlichen Lokalredakteure, die man kannte, ist drastisch gesunken. Man behilft sich lieber mit „Aushilfsjournalisten“, die auf Basis von Zeilen- und Fotogeld Veranstaltungen besuchen, so sie denn überhaupt noch welche besuchen.
Fehlende Erreichbarkeit der Redaktionen ist ein weiteres Ärgernis. Die Aktualität sinkt immer weiter, und was viele Leser gerade vor Ort verärgert, ist die Tatsache, dass die Lokalzeitungen über das, was vor Ort geschieht, nur noch rudimentär berichten. Wenn von Vereinsseite etwas eingereicht wird, wird es häufig, wenn überhaupt, Wochen später veröffentlicht. Begründung: Es ist kein Platz da. Das ist verständlich, weil die Seitenzahl reduziert ist. Es ist die historische Fehlentwicklung vieler Lokalredaktionen, dass sie das phantastische, reichhaltige Angebot der Vereine auch nicht ansatzweise entsprechend würdigen. Jeder Verein freut sich, wenn über seine Aktivitäten in Wort und Bild berichtet wird. Das nennt man Kundenbindung.
Überregionale Politik berücksichtigt auch nicht ansatzweise das, was vor Ort geschieht - ob die parteipolitische Diskussion über ein Neubaugebiet, ob die Erfolge des Vereines A oder B… Hier haben Lokalzeitungen ein Monopol, und hier hätten sie vor Jahren schon dieses Monopol im Sinne des Zusammenhalts einer Region und im Sinne der Unterstützung der Vereine nutzen können. Sie haben es versäumt. Das Thema ist durch.
Fehlende Glaubwürdigkeit
Wenn Forsa bereits vor zwei Jahren zu dem Schluss kommt, dass nur noch 45 Prozent der Menschen den Printmedien vertrauen, der Wert dürfte heute bei unter 40 Prozent liegen, dann ist das dramatisch. Wenn Allensbach in einer Studie Ende 2023 zum Ergebnis kommt, dass nur noch 40 Prozent der Bürger der Auffassung sind, sie könnten frei reden, während dieser Wert 1990 noch bei 78 Prozent lag, ist das dramatisch. Wenn mittlerweile, wie im letzten Jahr, nur noch 33 Prozent erklären, dass sie so sprechen wie sie möchten und sich nichts vorschreiben lassen wollen, so ist dies kein Ausdruck von Stärkung der Demokratie und der Meinungsfreiheit, sondern Ergebnis des Gefühls der Bevormundung durch öffentlich-rechtliche Medien und Medien insgesamt. Wenn Bürger das nicht ganz unberechtigte Gefühl haben, dass bestimmte Themen tabuisiert oder geschönt werden, dann trägt auch das nicht zur Glaubwürdigkeit bei.
Alles zusammengenommen führt dies zu einer Entfremdung von Medien, zu einer Entfremdung aber auch vom Staat, zu einer Entfremdung von der Demokratie. 38 Prozent, so eine Erhebung der Konrad-Adenauer-Stiftung, sind im Juni 2023 noch mit der Demokratie zufrieden. Dieser Wert ist innerhalb eines Jahres um 14 Prozent dramatisch gefallen. Dabei ist die Demokratie die beste aller denkbaren Staatsformen, für die es sich zu kämpfen lohnt. Hier wäre eine Aufgabe für Medien gegeben, durch Wissenschaftsfreiheit, Diskursfreiheit, Ergebnisoffenheit und weniger Hetze gegen diejenigen, die dem Mainstream nicht angehören, dafür Sorge zu tragen, dass es eine ausgewogene Berichterstattung, basierend auf Fakten, gibt. Oder auch durchaus auf der Präsentation unterschiedlicher inhaltlicher Angebote, so dass der mündige Bürger sich selbst ein Bild machen kann, was aus seiner Sicht das Richtige ist.
Der freie Fall der Tageszeitungen
Schaut man sich die aktuellen Auflagen der folgenden Tageszeitungen in Hessen an, dann kann man generell feststellen, dass sie in der Regel zwischen 40 und 75 Prozent ihrer Auflagen in den letzten 20 Jahren verloren haben. Die folgende Aufstellung ist dem Pressespiegel des Hessischen Landtages vom Frühjahr 2024 entnommen und sieht wie folgt aus:
gedruckte Auflage
Bergsträßer Anzeiger 9400
Butzbacher Zeitung 6000
Darmstädter Echo 27.400
Frankfurter Neue Presse 6400
Frankenberger Allgemeine 7500
Frankfurter Rundschau 8350
Fuldaer Zeitung 21.700
Gießener Allgemeine 21.900
Gießener Anzeiger 9100
Hanauer Anzeiger 12.300
Hessisch Niedersächsische Allgemeine 20.800
Hünfelder Zeitung 4400
Lauterbacher Anzeiger 4600
Main-Spitze 5000
Melsunger Allgemeine 5800
Neue Gelnhäuser Zeitung 9300
Nassauische Neue Presse 10.400
Oberhessische Presse 18.450
Oberhessische Zeitung 4400
Odenwälder Echo 7400
Offenbach Post 21.600
Rhein-Main-Zeitung 41.900
Schlitzer Bote 1300
Südhessen Morgen 2000
Taunus Zeitung 9800
Usinger Anzeiger 3700
Waldeckische Landeszeitung 13.500
Werra Rundschau 7600
Wiesbadener Kurier 18.400
Witzenhäuser Allgemeine Zeitung 5150
Talfahrt der WNZ
Die WNZ, die heute zur VRM-Gruppe Mainz gehört, hat sich wie folgt entwickelt:
WNZ Altkreis Wetzlar, Dill-Block, Gesamtblock WNZ mit Hinterländer Anzeiger, Weilburger Tageblatt…
1998
Altkreis Wetzlar 32.750 Dill-Block 27.700 Gesamtblock rund 85.000
2006
Altkreis Wetzlar 29.700 Dill-Block 24.800 Gesamtblock 80.500
2010
Altkreis Wetzlar 27.000 Dill-Block 23.500 (Übernahme der Dill-Zeitung) Gesamtblock 73.500
2017
Altkreis Wetzlar 21.800 Dill-Block 18.500 Gesamtblock 59.900
2020
Altkreis Wetzlar 20.200 Dill-Block 16.100 Gesamtblock 52.500
Januar 2024
Altkreis Wetzlar 15.300 Dill-Block 11.500 Gesamtblock rund 38.000
Laut Pressespiegel Landtag ist die gedruckte Auflage der WNZ sogar noch niedriger. Sie liegt im Altkreis Wetzlar bei 13.300, beim Herborner Tageblatt bei 5500 und bei der Dill-Zeitung bei 4700.
Kostensteigerungen ebenfalls ein Grund?
Die eingangs erwähnten gestiegenen Kosten müssen natürlich in irgendeiner Weise getragen, erwirtschaftet, umgelegt werden, zumal man als Unternehmen auch Gewinne erzielen muss. Und irgendwo muss das Geld herkommen. Also was macht man? Man reduziert die Zahl der Mitarbeiter, schließt am Beispiel der Wetzlarer Neuen Zeitung vor rund zwei Jahren die Druckerei, vermutlich wird irgendwann der gesamte Gebäudekomplex veräußert, geht verstärkt auf freie Mitarbeiter, reduziert die Seitenanzahl und erhöht die Abonnementpreise. Musste man 2018 für ein Jahresabonnement noch rund 440 Euro bezahlen, waren es 2020 515 Euro, 2022 570 Euro und in diesem Jahr sind es rund 700 Euro. Das ist viel Geld.
Keine gute Entwicklung
So sehr man sich berechtigterweise über Lokalzeitungen ärgert, über die mediale Einseitigkeit, über manche Einseitigkeit von Journalisten, die zwischen Berichterstattung und Kommentierung nicht unterscheiden können, so traurig ist diese Entwicklung deshalb, weil eine Lokalzeitung eine identitätsstiftende Wirkung haben kann, in der Vergangenheit häufig hatte. Man wusste, was im Lahn-Dill-Kreis, was im Ort geschehen war. 1998 hatte der Lahn-Dill-Kreis ca. 240.000 Einwohner und über 60.000 verkaufte Zeitungen aus dem Hause Wetzlar-Druck. Hinzu kamen zum damaligen Zeitpunkt noch über 10.000 verkaufte Exemplare des damaligen selbstständigen Verlagshauses Weidenbach in Form der Dill-Zeitung und der Ableger, das 2010 herum von der WNZ geschluckt wurde, also rund über 70.000 Tageszeitungen. Damals wurden damit die Haushalte im Lahn-Dill-Kreis ziemlich flächendeckend informiert. Heute liegt der Informationsgrad bei 250.000 Einwohnern bei ca. 25.000 Tageszeitungen im Lahn-Dill-Kreis.
Je weniger man weiß, desto manipulierbarer ist man
Dieser allgemeine Grundsatz, der leider zunehmend auf die Lebenswirklichkeit in Deutschland zutrifft, was politische Bildung angeht, trifft natürlich auch auf die Entwicklung in der Region zu. Fragt man heute, wer Landrat, Oberbürgermeister, wer die Abgeordneten sind, wird man sehr häufig Schulterzucken ernten. Die Kommunalpolitiker geben sich parteiübergreifend viel Mühe, für ihre Heimatgemeinde das Beste zu erreichen, und kaum jemand nimmt es noch zur Kenntnis. Es sei denn, man ist unmittelbar betroffen. Das heißt, wie sich Städte und Gemeinden entwickeln, wie sich der Kreis entwickelt, interessiert immer weniger Menschen, und man muss sich dann in letzter Konsequenz auch nicht wundern, dass gerade bei Kommunalwahlen oder Bürgermeister-/Landrats-Direktwahlen, wenn sie nicht mit einer größeren Wahl kombiniert sind, die Wahlbeteiligungen häufig genug irgendwo bei 25 oder 30 Prozent landen. Hier gilt allerdings, je kleiner die Gemeinde, desto höher die Wahlbeteiligung. Aber auch die ist in der Regel nicht befriedigend, denn die Direktwahl bietet tatsächlich die Möglichkeit, unmittelbar Einfluss zu nehmen. Aber wenn man keine Zeitung liest, nicht weiß, warum es geht, muss man sich nicht wundern, wenn 70 Prozent oder mehr zu Hause bleiben.
Joshua Benton von der Universität Harvard hat zum Thema Lokalzeitungen einmal ausgeführt, dass diese im Grunde genommen kleine Maschinen seien, die gesündere Demokratien ausspucken würden. Beweisbar im Übrigen dadurch, dass sie durch ihre Berichterstattung, wenn sie denn noch abonniert sind, unter anderem für eine höhere Wahlbeteiligung sorgen würden. Und da hat er recht. Als der ehemalige Chefredakteur der Washington Post gefragt wurde, was das Wichtigste im Journalismus sei, erklärte er unter anderem: „Glauben Sie nie etwas, was die Regierung sagt.“ Die Hoffnung, dass in Deutschland die Journalisten sich dies zu Herzen nehmen und einen entsprechenden Verantwortungsethos an den Tag legen, ist allerdings nicht sonderlich groß ausgeprägt. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.