Den Kurs der Mitte halten –

Warum der Kampf gegen Clankriminalität
auch mit Vertrauen in Politik zu tun hat

Versammlungen für Israel, Kundgebungen gegen Rechtsextremismus, Demonstrationen für Demokratie, Lokführer-Streiks oder Bauern-Blockaden. Die Menschen machen sich auf den Weg. Die Straßen füllen sich. In unserem Land wird es lauter.

Auch über die AfD wird in diesen Tagen viel gesprochen. Viel wird diskutiert, darüber warum die Partei so groß geworden ist und wieso viele Wählerinnen und Wähler meinen, dort ihre neue politische Heimat gefunden zu haben.

Ich glaube, die Antwort darauf ist einfacher als viele immer tun, aber unbequemer als den meisten Demokraten genehm ist. Der Ball liegt bei denjenigen, die heute in politischer Verantwortung sind und Entscheidungen für dieses Land treffen. Die letzten Jahre hat es an Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit gefehlt. Wenn Politik nicht zur Lebenswelt der Gesellschaft passt, wenn Politik weniger die Probleme der Menschen löst, stattdessen neue schafft, ist das Ergebnis: Unzufriedenheit, Unmut und Vertrauensverlust. Das Vertrauen, was den etablierten Kräften abhanden geht, bekommen politische Kräfte, die das Kontrastprogramm versprechen. Extremisten haben ihre Arme dann ganz weit geöffnet. Ob die tatsächlich Lösungen haben, sei dahingestellt. Erstmal gibt es dort einfache Antworten und kurzfristige Bedürfnisbefriedigung.

Probleme benennen

Ich werde in diesen Tagen oft gefragt, was ich als politisch Verantwortlicher unternehme, damit wir demokratisch den Kurs der Mitte halten. Das eine Rezept gegen Polarisierung und Radikalisierung der Gesellschaft gibt es nicht. Aber eine Zutat ist gute - bessere - Politik zu machen. Dabei ist wichtig, Probleme zu benennen, anfangen Probleme zu lösen und nicht zu viel zu versprechen.

Als Innenminister von Nordrhein-Westfalen habe ich 2017 den Kampf gegen Clankriminalität zur Chefsache erklärt. Gegenwind spüre ich heute noch. Oppositionelle Stimmen pikieren sich über das Wort „Clan“, da der Begriff politisch nicht korrekt sei. Der Vorwurf von Rassismus ist auch heute noch so sicher wie das Amen in der Kirche. Worte beeinflussen Wahrnehmung. Begriffe prägen Debatten. Das stimmt. Begriffe sind aber dafür da, Wahrheiten aussprechen und Realitäten mit Worten zu füllen. Bevor ich mich um das Kind kümmern kann, muss ich ihm einen Namen geben.

Kampf gegen die Clans

Es war nicht so, dass ich eines Tages aufgewacht bin und mir überlegt habe, dass ich es mit den Clanbossen an Rhein und Ruhr aufnehmen möchte. Als ich ins Amt gekommen bin, habe ich immer wieder aus Behörden, von Medien, aber auch von Bürgerinnen und Bürgern gehört, dass es Straßen und Plätze im Land gibt, an denen sich die Menschen nicht mehr sicher fühlen. Orte, wo man nicht gerne hingeht, wo man sich unsicher fühlt. Dieses Bedrohungsgefühl ging scheinbar von einer ganz bestimmten Klientel aus. Denn Clankriminalität ist nicht nur die konspirative und im Verborgenen stattfindende Organisierte Kriminalität, sondern sie zeigt sich offen. Das sind auch Raubstraftaten, Diebstahl und Betrügereien. Dazu gehört aggressives Machtgehabe in der Öffentlichkeit oder Provokation von Gewalt mit dem Ziel, Straßen und Plätze für sich einzunehmen. Aufgemotzte, teure Autos dröhnen durch die Innenstädte und bei nichtigen Anlässen verhält man sich respektlos, aggressiv und gewalttätig gegenüber der Polizei und dem Rettungsdienst. Clankriminalität heißt auch Tumultlagen, Situationen mit zig Beteiligten, so dass Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, das ist nicht mehr ihre Stadt und nicht mehr ihr Land. Da reklamiert jemand etwas für sich, das doch eigentlich uns allen gehört. Diese Wirkung von Clankriminalität ist Teil des Geschäftsmodells.

Clankriminalität ist auch Organisierte Kriminalität und Geschäfte im Verborgenen: Organisierter Rauschgift- und Waffenhandel, ausgeklügelte Geldwäsche, Menschenhandel und Erpressung. Clankriminalität ist sicher keine Kleinkriminalität.

Organisierte Kriminalität

In allen Verfahren der Organisierten Kriminalität haben Clankriminelle über mehrere Jahre hinweg in rund 20 Prozent der Fälle maßgeblich die Fäden gezogen. Die Familienstruktur, die eigenen Werte und Regeln, die Gleichgültigkeit gegenüber dem, was für unser Zusammenleben von Bedeutung ist, wird dabei als Deckmantel genutzt. Das sind kriminelle Machenschaften, die den Staat hintergehen und sich auf Kosten der Gemeinschaft bereichern. Die Menschen auf der Straße fragen sich zurecht, wie es sein kann, dass jemand seit Jahrzehnten Sozialleistungen kassiert und gleichzeitig in einer Villa lebt, mit vier verschiedenen Luxusautos in der eigenen Tiefgarage.

Rechtsstaat wird verhöhnt

Für mich ist es außerdem unerträglich, wie der Rechtsstaat verhöhnt, ausgehöhlt und missachtet wird. Das passiert auch durch eigene, vermeintliche Rechtssysteme, durch den Einsatz sogenannter „Friedensrichter“. Allein der Name ist schon eine Provokation. Zeuginnen und Zeugen werden unter Druck gesetzt, damit sie vor ordentlichen Gerichten nicht aussagen oder Falschaussage machen. Dabei ist das Ziel, die Sache unter sich zu klären, egal was unser Strafgesetzbuch dazu sagt. Das ist Paralleljustiz, die wir nicht tolerieren. Wir müssen mit allen Mitteln des Rechtsstaats gegen diese Leute vorgehen.

Warum der Kampf gegen Clankriminalität so enorm wichtig ist, hat auch mit Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu tun. Wenn wir beschönigen, verschweigen und so tun, als gäbe es das nicht oder uns weiter in Wortklaubereien verrennen, leidet das Vertrauen in unseren Rechtsstaat. Das leidet, wenn Bürgerinnen und Bürger den Eindruck gewinnen, dass Politik und Polizei Straßen, Parks und Wohnquartiere aufgeben, dass der Staat Recht und Gesetz oder die bloße Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nicht konsequent durchsetzt. Das passiert vor allem dann, wenn Bürgerinnen und Bürger, die brav ihre Steuern zahlen und sich an Gesetze halten, das Gefühl haben, dass wir das den Clans durchgehen lassen. Das macht Menschen wütend. Das kann ich nachvollziehen. Mich macht es auch wütend.

Seinen Gegner zu kennen, ist der halbe Sieg. Wir müssen das Phänomen Clankriminalität vollumfänglich verstehen und greifbar machen. Das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt hat deshalb in Zusammenarbeit mit diversen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf Grundlage der Erkenntnisse von der Polizei und der öffentlichen Wahrnehmung Clankriminalität erforscht.

Die in Deutschland existenten Clanstrukturen gehen auf die Gruppe der sogenannten „Mhallamiye“ zurück. Bis zum Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs waren sie im Grenzgebiet zwischen der Türkei, Syrien und dem Libanon ansässig. Zu Beginn der 1980er Jahre kamen diese Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland, vor allem nach Nordrhein-Westfalen.

Vieles ist schiefgelaufen

Da ist damals viel schiefgelaufen. Niemand hat sich richtig um diese Menschen gekümmert und versucht sie zu integrieren oder ihnen eine Perspektive gegeben. Auch dem Aufbau von Parallelgesellschaften und der Verübung von Straftaten als Mittel zum sozialen Aufstieg hat niemand Einhalt geboten. Das ist über Jahrzehnte hinweg so geschehen, sodass sich kriminelle Strukturen aufbauten und festigen konnten.

Aus diesen Erkenntnissen heraus ist die heutige Bekämpfungsstrategie der nordrhein-westfälischen Polizei entstanden. Wichtig ist, dass wir die Strategien zur Bekämpfung bestehender Clankriminalität fortentwickeln, aber auch mit viel Vehemenz dafür sorgen, dass sich die Geschichte hier nicht wiederholt.

Deshalb sage ich mit Blick auf die aktuelle Diskussion um Migrantinnen und Migranten: Wir müssen wissen, wen wir aufnehmen, und wir können nur eine begrenzte Zahl an Menschen in unser Land aufnehmen. Denn wir müssen in der Lage sein, uns um die Leute zu kümmern, die zu uns kommen. Wir dürfen die gleichen Fehler von damals nicht noch einmal machen. Deshalb analysieren wir genau, wie die Situation der Menschen heute ist, die in Folge des Krieges in Syrien zu uns gekommen sind. Wir müssen uns der Sache jetzt annehmen, nicht erst in zehn Jahren, wenn sich kriminelle Strukturen gefestigt haben.

In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2022 insgesamt rund 6.600 Straftaten registriert, die der Clankriminalität zuzuordnen sind. Das ist ein Anstieg von mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Diese Straftaten wurden von insgesamt etwa 4.000 Personen begangen. Auch diese Zahl bedeutet eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr, und zwar um etwas mehr als 11 Prozent. Das sind Zahlen, die erschrecken, die aber auch zeigen, dass wir das Dunkelfeld erhellen und wir die Kriminellen und ihre Machenschaften ins Licht hervorholen.

Unsere Bekämpfungsstrategie hat sich nach und nach entwickelt und fußt im Großen und Ganzen auf drei wesentlichen Säulen. Nämlich auf der Verzahnung unserer Nadelstichtaktik, der akribischen Ermittlungsarbeit, insbesondere in OK-Verfahren und der zielgerichteten Kriminalprävention. Bei unserer drei Säulen-Strategie oder wie in Berlin der Fünf-Punkte-Plan geht es vielfach um Vernetzung unterschiedlichster Behörden und dem ressortübergreifenden Austausch. Es geht darum, nicht nur den eigenen Bereich im Blick zu haben, sondern eben auch über den Tellerrand hinauszusehen. Bei uns arbeitet die Polizei zum Beispiel mit dem Zoll, der Gewerbeaufsicht oder auch der Steuerfahndung zusammen.

Ich betone immer, dass der Kampf gegen Clankriminalität kein Sprint ist, sondern ein Marathon, den wir nur mit viel Ausdauer und gemeinsamer Kraftanstrengung gewinnen können. Von heute auf morgen ist das Problem nicht aus der Welt.

Aber entscheidend ist, das Problem anzugehen und versuchen es zu lösen.

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