Unverständliches Urteil des Bundesverfassungsgerichtes

Verurteilter Mörder darf frei herumlaufen

Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe hat wie zu vernehmen war kürzlich mit Mehrheit ein Urteil gefällt, das zu akzeptieren ist, aus Sicht vieler Betrachter aber den Rechtsfrieden empfindlich stört.

Worum ging es?

1981 wurde eine 17-Jährige vergewaltigt und ermordet. Dringend im Verdacht stand Ismet H., der aber aus Mangel an Beweisen (in dubio pro reo – im Zweifelsfall für den Angeklagten) entlassen werden musste, obwohl die Indizien eine klare Sprache sprachen.

Neue Technik

Die seinerzeit sichergestellten Beweisstücke in der Asservatenkammer wurden vor ca. gut zehn Jahren noch einmal untersucht, weil es mit der DNA-Analyse neue Techniken gab. Aufgrund dieser DNA-Analyse konnte man Spermaspuren in der Wäsche der Getöteten feststellen, die eindeutig von Ismet H. stammten. Daraufhin hatte das Landgericht Verden das Verfahren gegen ihn wieder aufgenommen und Untersuchungshaft angeordnet. Dagegen legt Ismet H. Beschwerde beim Oberlandesgericht in Celle ein. Diese Beschwerde wurde zurückgewiesen. Dagegen wiederum legte er erneut Beschwerde ein, und das Bundesverfassungsgericht entschied zunächst im Juli 2022, dass der Haftbefehl außer Vollzug zu setzen sei, und zwar unter Auflagen. Ein Grundsatzurteil werde diesbezüglich gefällt.

Genau dies erfolgte vor wenigen Wochen unter dem Aspekt des Grundsatzes der Rechtssicherheit für Verurteilte. Unter dem Aspekt des Grundsatzes „Ne bis in idem“ (nicht zweimal in derselben Sache) wurde die 2021 von CDU und SPD rechtlich eingeführte Möglichkeit der Wiederaufnahme von Strafverfahren in schwerstwiegenden Fällen gekippt.

Grundgesetzänderung nötig

Der Artikel 103 des Grundgesetzes regelt diesen Rechtsspruch, wonach niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden kann. Der Artikel 103 gehört nicht zu den geschützten Grundrechtsartikeln, so dass er mit Mehrheit änderbar wäre.

Keine Mehrheit für Gesetzesänderung erkennbar

Die SPD, die seinerzeit auf Drängen von CDU und CSU diesen Gesetzentwurf mitgetragen hatte, erklärte, dass man das Urteil akzeptieren wolle und nichts unternehmen werde, um durch eine Grundgesetzänderung das ursprüngliche Gesetzesziel zu erreichen. Jubel bei FDP und Grünen. Die FDP unterstellte, dass eine praktisch endlose erneute Verfolgung eines Freigesprochenen auf der Grundlage neuer Beweise jetzt nicht mehr möglich sei. So etwas hat es noch nie gegeben. Und die Grünen-Rechtspolitikerin Canan Bayram erklärte, es müsse so sein, dass, wenn die Beweise für eine Verurteilung nicht reichen würden, sich der Staat dann an diesem Ergebnis festhalten müsse.

Eine merkwürdige Begründung, denn das war schon immer so. Wenn Zweifel angebracht sind, geht dies immer zugunsten des potenziellen Täters aus. Im konkreten Fall ging es um ein Kapitalverbrechen. Deshalb hat der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings, deutlich gemacht, dass diese Entscheidung bitter für die Angehörigen von Mordopfern sei. Unerträglich für die Angehörigen des jungen Mädchens, zu wissen, wer der Täter ist, zu wissen, wer das junge Leben ausgelöscht hat und zu wissen, dass dieser Menschen frei herumläuft. Deshalb ist eine Grundgesetzänderung zwingend nötig.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier
Aktuelle Ausgabe11/2024