SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke ruft in Wetzlar zur Stärkung der Erinnerungskultur auf

„40 Jahre Diktatur hinterlassen tiefe Spuren“
und werfen Schatten bis in die Gegenwart!

„Die Erinnerungskultur an das in der DDR geschehene und von dem SED-Staat ausgegangene Unrecht darf nicht vergessen und verdrängt werden und nicht verloren gehen“, fasste Evelyn Zupke, seit anderthalb Jahren SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag für die Opfer der SED-Diktatur, am Ende ihrer Ausführungen in der Wetzlarer „Blattform“ zusammen.

Mehr Grundwissen sei drei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR erforderlich, wozu zum Beispiel ein - wenn auch nicht unbedingt verpflichtender, jedoch dringend empfohlener - Besuch von Schülern einer Gedenkstätte bei gleichzeitiger Sensibilisierung der Lehrerschaft beitragen könne. Es gelte, stärker an die Zeit der Teilung zu erinnern, um einordnen zu können, was Freiheit heute bedeute.

Die 1962 in Binz auf der Insel Rügen geborene gelernte Heilerziehungspflegering und Fachberaterin für Psychotraumatologie sprach auf Einladung des CDU-Kreisverbandes Lahn-Dill in Wetzlar und holte damit das eigentlich für den Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober vorgesehene, aber seitens der Opferbeauftragten aus Termingründen ausgefallene Referat nach. Die Veranstaltung wurde vom Duo Raffael Monno (Gitarre) und Ulrich Kögel (Piano) musikalisch umrahmt.

„Der Sozialismus war kein Erfolgsmodell“, stellte Zupke klar. Repressionen und Verletzungen der Menschenrechte bestimmten von Anfang an das Leben der Menschen im „real existierenden Sozialismus“, was am 17. Juni 1953 erstmals weltweit deutlich wurde, weshalb Zupke das Erinnern an diesen Tag als Gedenktag befürwortet. Angst sei der „Kitt der Diktatur“ gewesen.

Es gab Widerstand, Hundertausende flüchteten, stellten Ausreiseanträge und nahmen Benachteiligungen in Kauf - bis hin zu Haft in Gefängnissen und Zuchthäusern oder gar bis zum Tod. Über 250.000 Menschen wurden in der DDR inhaftiert. Ihr Widerstand endete in der Zelle, was deren Leben für immer veränderte. Für die Gefangenen in den DDR-Gefängnissen - und nicht nur für diese - sei das Notaufnahmelager in Gießen das „Symbol der Freiheit“ gewesen.

Die Diktatur habe sich allerdings nicht erst „im Gefängnis“ gezeigt. Die „DNA der DDR“ setzte bereits in Familie und Schule an. Der freie Wille vor allem der unangepassten Jugendlichen sollte gebrochen werden, durch Repression, Freiheitsentzug und Zwangsarbeit in sogenannten „Jugendwerkhöfen“. Wiederum mit Folgen fürs ganze Leben der Betroffenen. Zupke erinnerte zudem an mehr als 8000 Frauen, die im Frauenzuchthaus Hoheneck in Stolberg eingesperrt waren, wo sie über Jahrzehnte bei Zwangsarbeit unter härtesten Bedingungen das Grauen der kommunistischen Ideologie erleiden mussten. Diese Traumata wurden und werden an die nächsten Generationen weitergegeben.

Der Schatten der Diktatur reicht laut Zupke weit und ist bis heute vorhanden. „40 Jahre Diktatur hinterlassen tiefe Spuren.“ Viele Menschen litten bis heute unter ihrem Ergehen, Erleben und Erleiden. Und könnten erst nach Jahrzehnten darüber reden. Ihre Anerkennung als Verfolgte des DDR-Regimes zu erreichen sei Hauptaufgabe ihrer Arbeit als Opferbeauftragte und Ombudsfrau.

Dabei sei die Auseinandersetzung mit dem SED-Unrecht nicht auf die ehemalige DDR begrenzt und die Aufarbeitung unter dem Motto „Hinschauen und nicht wegschauen“ - bei allem, was bisher an Aufarbeitung bereits geleistet wurde - weiterhin eine gesamtdeutsche Aufgabe. Das Thema „DDR-Unrecht“ sollte laut Zupke an Schulen und Hochschulen Teil des Lehrplanes und auch „prüfungsrelevant“ sein.

Zu Beginn begrüßte CDU-Kreisvorsitzender Hans-Jürgen Irmer den Gast aus Berlin und erinnerte an 91.000 „Stasi-Schergen“ und deren 400.000 „inoffizielle Mitarbeiter“. An den Menschenhandel in der SED-Diktatur in Form 33.000 Menschen, die von der Bundesrepublik freigekauft wurden. „Unsere Aufgabe ist es, daran zu erinnern, was an menschlichem Leid geschehen ist.“

Und er machte deutlich, dass die SED heute in „gewendeter Form“ in Bundestag und Landtagen sitze. Die heutige „Linke“ hat laut Irmer erfolgreich vor dem höchsten deutschen Gericht geklagt, um als „rechtsidentisch“ mit der SED - nicht nur als deren Rechtsnachfolger - anerkannt zu werden. Als „gutes Zeichen“ bewertete Irmer, dass die Linke in Umfragen und bei Wahlen im Rückgang begriffen sei und zum Beispiel in Hessen derzeit unter fünf Prozent liege.

Die sich an den Zupke-Vortrag anschließende Fragerunde wurde vom CDU-Landtagsabgeordneten Frank Steinraths moderiert, der den Gast aus Berlin dann auch verabschiedete.

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Franz Ewert

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