Das geht nur mit Kernenergie


Bezahlbar, jederzeit verfügbar und von Russland unabhängig

EU stuft Kernkraft als grüne Investition und CO2-frei ein

Es besteht deutschland- und europaweit ein hohes Maß an Konsens, ehrgeizige Klimaziele erreichen zu wollen. Es besteht Konsens darüber, unabhängiger vom russischen Erdgas und Öl werden zu wollen. Die Frage ist nur, wie? Wenn Deutschland, wie es die aktuelle Beschlusslage ist, tatsächlich bis Ende dieses Jahres die letzten drei Kernkraftwerke stilllegt, letztes Jahr wurden weitere drei stillgelegt, dann bedeutet dies einen zusätzlichen CO2-Ausstoß von rund 45 Millionen Tonnen. Sinnvoll?

Die Stilllegung der drei Atommeiler in diesem Jahr bedeutet künftig einen zusätzlich notwendigen Import von ca. 10 Milliarden Kubikmetern Erdgas. Aktuell verbraucht Deutschland etwa 95 Milliarden Kubikmeter Gas. Davon stammen rund 50 Milliarden aus Russland. Will man in Deutschland, wie es die Energiewende fordert, bis 2030 den Ausstieg aus der Kohle und dem Rest der Kernenergie, müsste man im Normalfall, so die Koalitionsvereinbarung der Ampel, etwa 30 bis 50 Gaskraftwerke zusätzlich bauen. Das heißt, der Bedarf an Gas nimmt zu. Andersherum formuliert: Durch den Ausstieg aus Kohle und Kernenergie würden, so Professor Fritz Vahrenholt (SPD), ca. 30 bis 50 Milliarden Kubikmeter zusätzlich nötig werden. Mit anderen Worten, wo sollen die zusätzlichen 30 bis 50 Milliarden Kubikmeter und die aktuell 50 Milliarden Kubikmeter aus Russland zusätzlich herkommen?

Kosten steigen

Schon vor dem Krieg Russlands, so Vahrenholt, hatte Deutschland die höchsten Strompreise weltweit. Die Gaspreise waren aufgrund der Energiewende auf das Vier- bis Fünffache gestiegen. In letzter Konsequenz logisch, denn wenn ich Kohlekraftwerke, Kernkraftwerke stilllege, erhöhe ich den vor Russland bereits notwendigen Gasbedarf. Je höher der Bedarf, desto höher die Preise, und zwar losgelöst von der Frage der Abhängigkeit.

Energiewende undurchführbar

Gigantischer Strombedarf durch Sonne und Wind nicht denkbar

Aus seiner Sicht, so Professor Vahrenholt, fehle das Eingeständnis, dass die Energiewende undurchführbar geworden ist. Der Anteil der Primärenergie von Sonne und Wind habe im letzten Jahr bei rund 5 Prozent gelegen.

Aus Kernkraftgegnerin wurde Kernkraftbefürworterin

Schaut man sich den künftigen Strombedarf an, unterstellt, man will eine Totalelektrifizierung, dann kann man davon ausgehen, dass bis 2050 bis zu 1500 Terawattstunden pro Jahr erzeugt werden müssen, also dreimal mehr als heute, so Dr. Anna Wendland, leitende Forscherin, die sich für den Weiterbetrieb der letzten Kernkraftwerke einsetzt und darüber hinaus den Bau neuer Anlagen fordert. In ihrer Jugend hat sie übrigens an Demonstrationen gegen Kernkraft teilgenommen. Sie plädiert für ein Mixtum Kompositum aus Kernenergie und Erneuerbaren Energien. Selbst wenn die Energieversorgung zu rund 50 Prozent aus Erneuerbaren Energien bestehen würde, bedeute dies, dass man die installierte Leistung aus Wind und Sonne um das ca. Vierfache ausbauen müsste. Entscheidendes Manko daran allerdings ist, dass es weder ansatzweise genügend Stromtrassen in Deutschland gibt noch entsprechende Speicherkapazitäten.

Kritische Rohstoffbilanz von Wind und Solarstrom

Was kaum jemand beachte und betrachte, so Dr. Wendland, sei die Tatsache, dass die Erzeugung von Wind und Solarstrom sehr materialaufwendig ist. Wenn man tatsächlich bis 2050, um auf das Netto-Null-CO2-Szenario zu kommen, bis zu 1500 Terawattstunden benötige, bedeute dies eine ungeheure Materialschlacht. Diese bislang total vernachlässigte Rohstoffbilanz, so in einem Beitrag in der Zeitung „Die Welt“, widerspreche völlig dem Ziel der Nachhaltigkeit. Es würde auch zu einem nie dagewesenen Wettlauf um Rohstoffe führen, denn in den Windrädern steckten große Mengen an Kupfer, Nickel und Seltenen Erden, die Deutschland aus Russland (!) und China (!) importiere. Auch diese Abhängigkeit gelte es ohne Schaum vor dem Mund zu formulieren.

Europa setzt auf Kernkraft

Frankreich will in einem ersten Schritt sechs Druckwasser-Reaktoren der zweiten Generation bis 2035 bauen. Weitere acht Reaktoren sollen bis 2050 folgen. Großbritannien plant den Bau von sechs neuen Kraftwerken, Polen plant sechs AKW mit US-Hilfe. Finnland setzt auf Atomstrom, dort übrigens mit Unterstützung der Grünen Partei! Die Niederlande planen ein neues Kraftwerk. Schweden ist aus dem Ausstieg aus der Kernenergie ausgestiegen.

Geisterfahrer Deutschland?

Es stellt sich spätestens hier die Frage, wer denn nun europaweit der Geisterfahrer ist – man könnte auch fragen weltweit. Japan ist zur Nuklearenergie zurückgekehrt. Argentinien baut mit chinesischer Hilfe zwei Kernkraftwerke, Indien zehn neue Kernreaktoren, von China ganz zu schweigen… Um es an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich zu betonen: Niemand hat etwas gegen regenerative Energien, die prinzipiell Sinn machen. Die entscheidende Frage für den Industriestandort, für die Bezahlbarkeit der Preise ist aber, ist es damit technisch machbar, eine Industrienation jederzeit mit verlässlichem Strom, mit bezahlbarem Strom zu allen Tages- und Nachtzeiten zu versorgen, wenn man gleichzeitig weiß, dass die Produktion von Strom aus Sonne und Wind ausschließlich abhängig davon ist, wie die Wetterlage ist und man gleichzeitig weiß, dass es keinerlei entsprechende Speicherkapazitäten gibt und keine Trassen, die den Strom leiten könnten.

Strompreise drohen zur Armutsfalle zu werden

Deutschlands Strompreise sind weltweit bedauerlicherweise aufgrund der Energiewende, verschärft durch den russischen Angriff auf die Ukraine, in negativer Hinsicht spitze. Sie gefährden Industriestandorte, sie gefährden Industrien – übrigens auch in Wetzlar, die ein hohes Maß an Energiebedarf haben. Aktuell haben sich daher je nach Umfrage ca. 60 Prozent der Deutschen mittlerweile für den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke ausgesprochen.

Europäische Union

Kernkraft ist „grüne Investition“

Die Europäische Kommission hat mittlerweile im Übrigen Kernkraft als „grüne Investition“, also als förderfähige Investition angesehen. Sind das alles Hasardeure, Glücksritter, die solche Entscheidungen treffen oder werden diese Entscheidungen nicht auch vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen? Kernkraft 4.0, so will ich es an dieser Stelle bezeichnen, ist auch nicht ansatzweise mehr mit den Kraftwerken der 80er Jahre zu vergleichen und ihren objektiv vorhandenen Problemen der Einlagerung und Endlagerung der abgebrannten Brennelemente. Weltweit wird geforscht - in Südfrankreich gemeinsam 35 Staaten und die EU am Projekt ITER, bei dem es um Kernfusion geht. China hat mit dem Bau eines Fusionskraftwerkes begonnen. In den USA wird an „Laufwellenreaktoren“ gearbeitet, die abgereichertes Uran zur Energiegewinnung nutzen können, so dass 700.000 Tonnen dieses Materials rückstandsfrei verwertet werden könnten. Es gibt Arbeiten am „Thorium-Reaktor“, in dem statt Uran Thorium verarbeitet wird. Das Berliner Institut für Festkörper-Kernphysik arbeitet am Dual-Fluid-Reaktor, der im Übrigen in Kanada zur Betriebsreife gehen soll.

Das sind alles unter Energieversorgungssicherheitsaspekten Entwicklungen, die sehr positiv sind. Deshalb sollte sich Deutschland an die Spitze der Kernenergiebewegung setzen. Eine saubere, weil CO2-freie Energie, eine verlässliche, jederzeit verfügbare Energie und eine bezahlbare, die ohnehin noch dazu führt, Deutschland weitgehend unabhängig von Rohstoffimporten aus anderen Staaten dieser Welt zu machen. Es lohnt sich, darüber ergebnisoffen nachzudenken und nicht aus ideologischen Gründen die Schotten zu schließen.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier

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