Für den Nauborner Christof Sahm und sein Hilfe-Team ist es mehr als eine Herzenssache:

„Die Ukraine braucht unsere Hilfe zum Überleben –
aktuell und schnell in Zeiten des Krieges und anschließend
nachhaltig auf lange Sicht"

In Krisenzeiten - und Kriegszeiten sind ganz besonders harte Krisenzeiten - wachsen und bewähren sich Freundschaften.

Es werden zuvor kaum für möglich gehaltene Kräfte mobilisiert zur Unterstützung und Rettung des Schwächeren und Bedrohten. Und es werden unter krisenhaften und gefährlichen Umständen Dinge auf den Weg gebracht und umgesetzt, denen sich mit Energie und Herzblut und aller Kraft zuzuwenden in „normalen“ Zeiten keinerlei oder kaum Veranlassung besteht. Diese Erfahrungen machen angesichts des von Russland in völkerrechtswidriger und unmenschlicher Weise vom Zaun gebrochenen und noch immer fortgeführten Krieges in der Ukraine viele Menschen, die unbedingt helfen wollen. Jenen, die unverschuldet bereits Opfer dieses Krieges wurden oder - bis hin zum Schlimmsten - jederzeit noch werden können. Christof Sahm aus Nauborn ist gemeinsam mit seinem Team einer von diesen Vielen, die sich aus persönlicher Betroffenheit heraus in tiefster Überzeugung helfend für Menschen in der Ukraine einsetzen.

Christof Sahm, seine Ehefrau Beate, die Wetzlarerin Marika Weymann – eine ausgebildete Krankenschwester und langjährige Freundin der Familie - und Dr. Wolfgang Bunk vom Werksärztlichen Dienst Wetzlar, die kleine, aktive und die Dinge tagtäglich voranbringende und forcierende „Kernmannschaft“ der privaten Hilfsinitiative, die zwar am Amtsgericht Wetzlar mittlerweile als e.V. eingetragen ist, aber immer noch auf die Freistellung des Finanzamtes wartet, sprechen von ihrer „Familie“ in der 120 Kilometer nördlich von Kiew und 50 Kilometer nordöstlich von Tschernobyl entfernten und als Folge des dortigen Atom-Gaus erst vor 3 1/2 Jahrzehnten neu entstandenen Kleinstadt Slavutych nahe der Ukrainisch-Belarussischen Grenze. Dieses 23.000-Einwohner-Städtchen steht mittlerweile unter russischer Besatzung, so Christof Sahm, der praktisch rund um die Uhr mit den Freunden vor Ort in Verbindung steht und unruhig ist ob der Ungewissheit, wie es den Menschen in Slavutych und besonders jenen geht, zu denen er seit Jahren enge freundschaftliche Beziehungen pflegt.

Menschen, die inzwischen zu seiner „Familie“ gehören, weil die dortigen ukrainischen Freunde die Nauborner Familie Sahm und Marika Weymann bei ihrem letzten Besuch im Herbst 2021 feierlich als Mitglieder in ihre Familie aufgenommen haben. Ein beeindruckendes Symbol! Die Unruhe vergeht für eine gewisse Zeit, wenn per Handymitteilung ein kurzes und oft auch verschlüsseltes Lebenszeichen in Nauborn eintrifft. Die Unruhe nimmt aber sogleich wieder zu bei dem stets präsenten Gedanken, ob auch am anderen Tag wieder ein Lebenszeichen aus dem Kriegsgebiet abgesendet wird - oder werden kann. Was nicht nur aus Sicherheits-, sondern oft auch aus technischen Gründen schwierig sei.

Einsatz schon 2017

Es war 2017 und nochmals 2018, als Christof Sahm, Geschäftsführer der von seinem Vater Bernd Sahm der in 1987 in Nauborn gegründeten Sahm Feinwerktechnik GmbH, in dem ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feinwerktechnische/optische Präzisionsgeräte für Kunden aus aller Welt herstellen, zusammen mit seinem Sohn Erik die Region und vor allem die Sperrzone Tschernobyl besuchte. Diese konnte bis Kriegsbeginn mittels fachkundiger Führung erkundet werden. Diesen lange gehegten persönlichen Wunsch erfüllte sich Christof Sahm zusammen mit seinem Sohn Erik, um die Geschehnisse von 1986 zu begreifen.

Dabei lernten sie über, mit und durch ihre ukrainische Fremdenführerin, mit der die ganze Familie bis heute eng freundschaftlich verbunden ist, auch ein sogenanntes Liquidatorenehepaar kennen, das in der neuen „Ersatzstadt“ Slavutych zu Hause ist und durch ihren Einsatz drei Wochen nach der Katastrophe, wenige hundert Meter vom offenen Reaktor entfernt, für mehrere Wochen im Einsatz war, und heute mit großen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, die in der Klinik der Stadt behandelt werden. Ein Besuch in diesem Krankenhaus sorgte jedoch angesichts der dort herrschenden Umstände einschließlich des vorhandenen, oder besser: fehlenden klinischen Materials bei Christof Sahm und Marika Weymann „für blankes Entsetzen“ - und dem sofort in ihnen erwachenden Willen, umgehend und umfassend zu helfen.

Damals viel Bürokratie

Was sich allerdings als schwieriger erwies, als sich die Hilfswilligen aus Nauborn, die mit Hilfe des damaligen Bundestagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer schon 2018 Kontakte zur Ukrainischen Botschaft in Berlin herstellen konnten, gedacht hatten. Denn schon Anfang 2020 sollte laut Christof Sahm eine erste Hilfslieferung, die von Marika Weymann mithilfe von Kontakten zu Kliniken im LDK bereitgestellt wurde, mit medizinischem Material - darunter vier Defibrillatoren - Richtung Slavutych auf den Weg gebracht werden. Es seien seinerzeit vor allem die bürokratischen Bedingungen seitens der ukrainischen Einfuhrbedingungen gewesen, die für Probleme gesorgt hätten. Aktuell, in Kriegszeiten, gebe es keine Kontrolle von medizinischen Hilfstransporten an der ukrainischen Grenze mehr, alles werde durchgewunken, so Christof Sahm. Dann kam Ende 2020 auch noch die Nachricht, dass das Krankenhaus aus wirtschaftlichen Gründen kurz vor der Schließung stünde.

Erfolg Weihnachten 2020

Über Kontakte zu einer befreundeten Hilfsorganisation in der Region vor Ort sei es dann gelungen, die erste Nauborner Hilfslieferung am 2. Weihnachtsfeiertag 2020 per Flugzeug in die Ukraine und weiter per dreistündiger Autofahrt zum Krankenhaus in Slavutych zu bringen. Dort sei die sehnsüchtig erwartete Spende aus Nauborn „ganz groß gefeiert“ worden, der Bürgermeister Jury Fomichev war vor Ort und selbst das lokale Fernsehen berichtete darüber. Dann aber habe „Corona“ das Hilfsprojekt allerdings über Nacht ausgebremst. Dennoch reiste Christof Sahm samt Familie - Ehefrau Beate, Sohn Erik, Tochter Enya mit Freund David und Marika Weymann - für vier Tage im Herbst 2021 zu den gemeinsamen Freunden nach Slavutych. Sie berichten bis heute von einer „überwältigenden und herzlichen Gastfreundschaft“, die sie dort haben genießen dürfen.

Die deutschen Gäste besichtigten das Kraftwerk direkt neben dem „Sarkophag“, der heute die Umwelt vor dem havarierten AKW Tschernobyl schützt, und sie trafen den Bürgermeister der Stadt Slavutych, mit dem vereinbart wurde, in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden eine Perspektive für die Klinik zu erarbeiten, denn die dortigen Zustände seien weiterhin „schockierend“. So müssten - abgesehen vom Mangel an praktisch allem - zum Beispiel die Patienten ihre eigene Bettwäsche mitbringen und Verwandte für deren Mahlzeiten sorgen. Nur wo das nicht gesichert sei, sorge die Klinikküche für Verpflegung, jedoch nur einmal am Tag mit Hirsebrei. Für alle Beteiligten war klar: Hier muss umgehend und dringend geholfen werden.

Dank an Dr. Bunk

Was sich aber wiederum durch bürokratische Hürden durch Einfuhrbeschränkungen verzögerte. So lagerten etwa zehn Tonnen Material - bereitgestellt durch den Leiter des Werksärztlichen Dienstes, Dr. Wolfgang Bunk - fast ein Jahr lang in Nauborn. Und erst Anfang März – „Seit drei Wochen ist das nun möglich, was drei Jahre nicht möglich war“ - konnte ein umfangreicher Transport mit Verbandmaterial zur Notfallversorgung sowie Medikamente auf den Weg gebracht werden. Und das ohne verzögernde Grenzkontrollen in den Westen des Landes, von wo aus ein Verteil-Netzwerk dafür sorgt, dass die Hilfsgüter dorthin gelangen, wo sie am nötigsten gebraucht werden.

Dank an Dr. Kunets und die vielen freiwilligen Helfer

Christof Sahm und Marika Weymann zeigten sich „zutiefst beeindruckt“, wie ihr Hilfsprojekt, das derzeit als Soforthilfe, danach aber auf langfristige Hilfe ausgelegt sei, aktuell läuft. Der Kreis der Helfer ist in den letzten Tagen und Wochen deutlich größer geworden, vielfältige Kontakte zu heimischen Unternehmen und Koordinationsstellen vor Ort sorgten für Schwung. Hinzu kommen viele Spenden von Einzelpersonen und regionalen Unternehmen. „Die Hilfsbereitschaft ist enorm.“ Mitte März sind innerhalb von zwei Wochen Spenden im hohen 5-stelligen Euro-Bereich eingegangen, die zum großen Teil durch Dr. Wolfgang Bunk generiert werden konnten. Weitere hohe Geldspenden wurden bereits in Aussicht gestellt. Geld, mit dem medizinisches Material gezielt anhand von „Bestelllisten“ hierzulande - oft auch zu Sonderkonditionen – durch Dr. Bunk und dem Werksärztliche Dienst Wetzlar gekauft werde, welches in der Ukraine besonders dringend gebraucht wird. In diesem Zusammenhang danken Sahm und Weymann ausdrücklich und von ganzem Herzen dem Wetzlarer Rechtsanwalt Rostislav Kunets für seine großartige Unterstützung, dessen Kontakte in seine Heimat Ukraine die Logistik der Transporte überhaupt erst ermöglicht und erleichtert haben.

Dank an Lions-Club Wetzlar-Solms

Des Weiteren dankt Sahm dem Lions-Club Wetzlar-Solms für seine Unterstützung.

Nach dem ersten Transport in Kriegszeiten von Anfang März folgte Ende März ein zweiter mit rund zehn Kubikmetern medizinischen Materials, das nicht „blind“, sondern anhand gezielter Anforderungen ukrainischer Kliniken, speziell zur Versorgung Kriegsverletzter, von Nauborn in die Ukraine geliefert wurde. Dabei beschränken sich die Kontakte zu den Freunden und Bekannten, ihren Freunden in Slavutych aus Sicherheitsgründen derzeit auf das Allernötigste. „Lebt ihr noch?“, sei dabei die Kardinalfrage. „Wir sind ein für allemal mit diesem Land und diesen großartigen, mutigen Menschen verbunden“, legen sich Christof Sahm und Marika Weymann, auch im Namen ihrer Mitstreiter innerhalb und außerhalb der Familie fest. „Die Ukrainer zeigen gerade der ganzen Welt, was echter Patriotismus bewirken kann: den erfolgreichen Widerstand gegen einen scheinbar übermächtigen Aggressor. Und wenn dieser Krieg irgendwann vorbei ist, dann haben wir viel zu tun, dann wartet sehr, sehr viel Arbeit auf uns.“

Noch ein persönliches Wort an alle, die gerade in der Ukraine um ihr Leben fürchten:

Україна: Ти не одна -

Ми з тобою!

 

Weitere Spenden gerne an:

Hilfswerk Lions Wetzlar-Solms e. V.

Sparkasse Wetzlar: IBAN: DE53 5155 0035 0002 0770 14

(Spendenbescheinigungen möglich)

 

Über den Autor

Franz Ewert

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