Was hat Russlands Präsident Putin wirklich vor?

Russlands gigantische atomare Aufrüstung

Dieser Artikel erschien im Wetzlar-Kurier im März 2020

Er erntete bei „Putin-Verstehern“ deutliche Kritik –

war aber (leider) zeitlos richtig

 

Die Zahl der Menschen, die unterschreiben, dass das heutige Russland unter Präsident Putin eine Demokratie im Sinne des Westens ist, wird vermutlich nicht allzu groß sein. Zu sehr haben wir es hier mit einer gelenkten Demokratie zu tun, die pro forma einige Oppositionelle zulässt, aber immer dann zuschlägt, wenn sie zu gefährlich für das bestehende System sein können. Beispiele von willkürlichen Verhaftungen gibt es aus den letzten Jahren genügend.

Russland zu alter Stärke führen?

Aus der Geschichte weiß man, dass Diktatoren, korrupte Regime immer dann dazu neigen, Außenpolitik zu betreiben, wenn es im Bereich der Innenpolitik Schwierigkeiten gibt. Das ist keine neue Erkenntnis. Genau dies kann man am Beispiel Russlands gut nachvollziehen. Vor ca. zehn Jahren rüstet Russland unter Verantwortung von Putin in einem Ausmaß auf, dass man sich für die Zukunft große Sorgen machen muss.

Die innenpolitische Lage ist dank staatlich gelenkter Medien, Unterdrückungsmechanismen, politischer Prozesse und gelenkter Demokratie relativ stabil, sieht man einmal davon ab, dass die Rentenbezieher und die Einkommen in Russland so niedrig sind, dass man hier von einer teilweise fast flächendeckenden Armut sprechen muss. Potenzial prinzipiell für Unruhen. Das weiß auch Putin. Deshalb hat er in der Vergangenheit nationale Stärke hervorgekehrt, um an den Stolz Russlands zu appellieren und von den wirklichen Sorgen abzulenken.

Destabilisierung des Westens von innen heraus

Zu den Maßnahmen, den Westen insgesamt zu destabilisieren, gehören die bekannten und berüchtigten Internettrolle in den sozialen Medien, die mit dazu beigetragen haben, die Brexit-Entscheidung zu befördern. Dazu gehören deutschsprachige russische Sender, aber auch Sender in anderen europäischen Sprachen, die die Sicht Putins auf die Welt verbreiten. Dazu zählen bekanntermaßen gezielte Cyberangriffe und die Unterstützung rechtspopulistischer Bewegungen in Europa. Ziel ist die Destabilisierung Europas von innen heraus.

Wie groß der Machtanspruch Putins ist, kann man auch an der aktuell geplanten Verfassungsänderung in Russland festmachen. Vordergründig geht es darum, erstmalig in Russland einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, regelmäßige Rentenanpassungen per Gesetz vorzusehen, keine Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Ehen zulassen zu wollen. Für Putin durchaus populäre Forderungen und Vorstellungen für russische Bürger. In Wirklichkeit geht es aber darum, im Rahmen der Verfassungsänderung Putin die Möglichkeit zu eröffnen, über die eigentlich begrenzte Amtszeit bis 2024 hinaus de facto diese „lebenslänglich“ verlängern zu können, zumindest um zweimal sechs Jahre. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Destabilisierung auf militärischer Ebene

Kennern der russischen Armee fällt seit annähernd zehn Jahren zunehmend auf, dass die finanziellen Mittel, die in die Ausrüstung und Aufrüstung fließen, exorbitant gestiegen sind, dass sehr viel in Forschung und Technik investiert wurde mit dem Ergebnis, dass vor wenigen Tagen westdeutsche Militärexperten ihre größte Sorge zum Ausdruck brachten über neue, partiell bereits verfügbare Waffen, denen der Westen nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat. Es war Russland, das den seinerzeit zwischen der ehemaligen UdSSR und den USA ausgehandelten INF-Vertrag verletzt hat, wonach keine Atomwaffen zu entwickeln sind, die den potenziellen Gegner erreichen können. Putin hat sich an diesem Vertrag nie gestört. Von daher war es nur konsequent, dass US-Präsident Donald Trump diesen öffentlich gekündigt hat, da er das Papier nicht mehr wert war, auf dem er einstmals stand, unterzeichnet von Ronald Reagan, dem damaligen amerikanischen Präsidenten, und Michail Gorbatschow.

Marschflugkörper

Mittlerweile hat Russland Marschflugkörper namens SSC-8 entwickelt, die knapp 2000 Kilometer Reichweite haben und damit Westeuropa erreichen können. Mittlerweile gibt es eine neue Bodenluftrakete Kinschal, die mit zehnfacher Überschallgeschwindigkeit fliegt, und den Gleitflugkörper Awangard, der in den Weltraum mit einer Rakete geschossen wird. Dort trennt sich der Gleiter von der Rakete und ist nicht mehr für das Radar erfassbar. Erfasst wird er erst im Falle einer Detonation.

Diesen Hyperschallwaffen hat die Nato auch nicht ansatzweise etwas entgegenzusetzen. Hinzu kommt ein massives U-Boot-Ausbauprogramm mit dem neuen U-Boot-Typ Borei und einer Reichweite von rund 8000 Kilometern, natürlich bestückt mit mehreren atomaren Sprengkörpern, so dass von den Weltmeeren jederzeit jedes Ziel dieser Welt angegriffen werden kann.

Friedensbewegung kläglich gescheitert

Die gleiche Debatte hatten wir in den 80er Jahren mit dem Nato-Doppelbeschluss, an dem Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) gegen den wütenden Widerstand seiner eigenen linken Bataillone zu Recht festgehalten hat, konsequent fortgeführt von der Regierung Helmut Kohl, assistiert vom damaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, der dafür war, abzurüsten, aber bei der sowjetischen Seite nicht auf Gegenliebe stieß und daraufhin erklärt hat, solange aufzurüsten, bis die andere Seite wirtschaftspolitisch tot ist. Genau dies ist in letzter Konsequenz geschehen, weil der Westen dem damaligen Ostblock gegenüber ökonomisch haushoch überlegen war, so dass es zu einer entsprechenden notgedrungenen Öffnung der damaligen Sowjetunion unter Gorbatschow kam mit den entsprechend positiven Auswirkungen atomarer Abrüstungsverträge, dem Fall des Eisernen Vorhangs, dem Zerfall des militärischen Ostblockbündnisses Warschauer Pakt und anderes mehr.

Die deutsche Friedensbewegung damals war für eine einseitige Abrüstung. Sie hätte dieses Ergebnis logischerweise nie erbringen können, denn weshalb sollte eine sowjetische Seite abrüsten, wenn man militärisch gegenüber dem Westen in einer unglaublich dominanten Stellung gewesen wäre. Dies hätte überhaupt keinen Sinn ergeben. Die gleiche Diskussion führen wir heute wieder, wenn es darum geht, dass zunehmend sogenannte friedensbewegte Aktivisten ihre Sorge zum Ausdruck bringen, dass der Bund plant, neue Kampfflugzeuge zu kaufen, die in der Lage sind, Atombomben mitführen zu können.

Natürlich wäre es wünschenswert, man hätte weltweit überhaupt keine Atomwaffen. Wer wollte das nicht? Doch zu glauben, dass die andere Seite auf Atomwaffen verzichtet, wenn man selbst keine hat, gehört in das Reich der Fabel. China ist an dieser Stelle ebenfalls zu erwähnen, denn das Gleiche gilt für die Chinesen, die ebenfalls massiv militärisch aufrüsten. Das Prinzip der gegenseitigen Abschreckung und damit der Erhalt des Friedens funktioniert eben nur so, wenn die eine Seite weiß, dass im Falle eines Angriffes sie selbst nicht ohne Schaden davonkommt. Selbstmörder sind auf der anderen Seite nicht erkennbar, denn weder Russen noch Chinesen bomben sich im Gegensatz zu den Islamisten in den sicheren Tod, Dafür hängen sie doch zu viel am Leben. Ergo braucht man das Prinzip der gegenseitigen Abschreckung, wie es bis zum Zerfall des Warschauer Paktes 1989/90 funktioniert hat.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier
Aktuelle Ausgabe10/2024