Der Russland-Krieg und die „Freiheitsenergien“

(von Thomas Wagner)

Der Russland-Krieg stellt die Energiepolitik Deutschlands in Frage und hat dramatische Auswirkungen auf die eingeleitete Energiewende und den damit verbundenen Ausbau der erneuerbaren Energien (EE).

Zu erwarten waren die Statements der Verbandsvertreter der erneuerbaren Energien bzw. der Windkraftindustrie, die von den EE als strategischer Faktor sprechen und behaupten, dass eine Energieunabhängigkeit durch einen schnellen und intensiven Ausbau der EE erreicht würde. Aber auch die politischen Ampel-Vertreter überschlagen sich in Wortschöpfungen zu Gunsten des schnellen und massiven EE-Ausbaus: Wirtschaftsminister Habeck von den Grünen möchte jetzt in „Tesla-Geschwindigkeit“ die EE voranbringen. Finanzminister Lindner von der FDP lässt sich sogar zu einem noch kreativeren Slogan hinreißen und spricht interessanterweise von „Freiheitsenergien“.

Was ist von den Aussagen bei näherem Hinsehen zu halten? Folgende Ausgangssituation kann man für Deutschland bis zum Angriff Russlands festhalten:

Strommix 2021: Die deutsche Energieversorgung der Wirtschaft und Bevölkerung beansprucht erhebliche Mengen an Rohstoffen. 2021 wurden diese Energiemengen mehrheitlich durch konventionelle Energieträger bereitgestellt. Während der Kohlestrom an Bedeutung gewann (30 Prozent), verloren Kernenergie und Gas im Vergleich zum Vorjahr. Bei den EE hat insbesondere die Windkraft aufgrund der wetterabhängigen Gegebenheiten an Bedeutung eingebüßt (Leistungseinbuße: ca. minus 17 Mrd. kWh).

Öl- und Gasabhängigkeit: Erdgas trug in 2021 mit rd. 27 Prozent und Mineralöl mit rd. 32 Prozent zum deutschen Primärenergiebedarf bei. Deutschland bezog aus Russland rd. 55 Prozent der Gasmengen und ca. 35 Prozent der Ölmengen. Deutschland ist fast ausschließlich auf Erdgasimporte aus Russland, Norwegen und den Niederlanden angewiesen. Die Öllieferanten kommen u.a. aus Russland, Norwegen, Libyen, Kasachstan, Irak.

Ampel-Koalitionsziele: u.a. Festhalten am Kernenergieausstieg, Ausstieg aus der Kohleverstromung „idealerweise“ bis 2030 und aus der Verbrennungstechnologie bis 2035. Darüber hinaus gibt es ein klares Bekenntnis zum Erdgas als unverzichtbaren Energieträger für die Übergangszeit in die grüne Wasserstoffwirtschaft, um die Versorgungssicherheit sicherstellen zu können. Dafür sind zusätzliche Gaskraftwerke und der notwendige Aufbau einer Import- und Transportinfrastruktur für Wasserstoff notwendig.

EU-Taxonomie: Sie dient dazu, private Investitionen in Tätigkeiten zu lenken, die notwendig sind, um Klimaneutralität zu erreichen. Vor kurzem hatte die Ampel-Regierung noch Druck auf die EU ausgeübt, um Gaskraftwerke als „nachhaltig“ in der Taxonomie einstufen zu lassen.

Die geschilderte Ausgangssituation macht klar, dass die Politik durch den Angriff Russlands kalt erwischt wurde. Putins Gas war aufgrund des sehr hohen Lieferanteils der Erfolgsgarant der angestrebten Energie-, besser Stromwende in unserem Land. Dass haben über Parteigrenzen hinweg alle Politiker gewusst und gewollt, denn es war klar, dass ohne Atom- und Kohlestrom nur die regelbaren, flexiblen Gaskraftwerke verbleiben, die auch immer dann Strom liefern, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint.

Somit verwundern jetzt die einfachen Aussagen der Ampel-Politiker und der Öko-Lobbyisten, die nun mit „Lichtgeschwindigkeit“ in die EE sausen wollen, obwohl die infrastrukturellen Voraussetzungen gar nicht vorliegen. Da das Back-up der regelbaren Gaskraftwerke ein unverzichtbarer Baustein der bisherigen Energiewende ist, muss die angestrebte Gasversorgung unbedingt sichergestellt werden. Es ist völlig illusorisch den hohen Energiebedarf unserer modernen Industriegesellschaft auf absehbare Zeit nur mit eigenen Windkraftanlagen und PV-Anlagen unabhängig durchführen zu können, da die EE starke Erzeugungsschwankungen aufweisen, d.h. nicht bedarfsgerecht, sondern nur wetterabhängig Strom zur Verfügung stellen können. Solange keine ausreichenden und bezahlbaren Speichermöglichkeiten vorhanden sind, müssen die grundlastfähigen Gaskraftwerke das verbrauchergerechte Stromangebot sicherstellen.

Die jetzt stattfindende Simplifizierung - nach dem Motto „Mehr Freiheit durch den schnellen Ausbau der EE“ - ist deshalb irreführend und unzulässig, da wir mit diesem Weg nicht unabhängiger werden, sondern Abhängigkeiten nur verschieben. Gerade der jetzige Finanzminister hatte vor Monaten richtigerweise darauf verwiesen, dass wir in Zukunft auch Wasserstoff importieren können müssen. Die jetzt eingeleiteten „Energieimport-Partnerschaften“ von Wirtschaftsminister Habeck mit demokratisch hoch problematischen Staaten wie Katar und den VA Emiraten, zeigen ebenfalls, dass die Abhängigkeiten nicht verschwinden, sondern nur verschoben werden. Man darf gespannt sein, ob diese „Partnerschaften“ sich in Zukunft wegen der dann entstandenen Abhängigkeiten auch als problematisch herausstellen werden.

E-Mobilität und Rohstoffe

Aber auch die eingeleitete E-Mobilität bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Verbrennungstechnologie wird die Abhängigkeiten z.B. von Rohstoffen (Kobalt, Lithium, Kupfer, Seltene Erden, etc.) noch weiter vergrößern. So sind z.B. die sog. Seltenen Erden kritische Rohstoffe, da egal ob Handy, Elektromotor oder Windturbine diese für die Herstellung benötigen. Die Versorgungslage ist heute schon kritisch, und bei absehbarer, steigender Nachfrage wird die Abhängigkeit von China, welches heute schon zu mehr als 80 Prozent der geförderten Menge zur Verfügung stellt, weiter steigen. Interessant ist auch, dass wir als Gesellschaft die einhergehenden Umweltbelastungen (es fallen bei der Gewinnung teils radioaktive Giftschlämme an, welche in der freien Natur landen) und auch die chinesischen Arbeitsbedingungen im Bergbau für unsere neue Welt der Elektrifizierung billigend in Kauf nehmen. Ähnlich problematisch ist z.B. auch der Kobalt- (im Kongo) und Lithiumabbau (Südamerika) zu beurteilen.

Die explodierenden Kosten der Energiepolitik sind bereits vor dem Angriff in Form der höchsten europäischen Strompreise bei uns Verbrauchern angekommen. Die Abschaffung der EEG-Umlage entlastet zwar ein wenig, aber kann die Strompreissteigerungen nicht aufhalten. Zudem müssen die mit der EEG verbundenen Ausgaben dann auch anderweitig finanziert werden. Wenn man jetzt noch die außerordentlichen Kosten der zu erwartenden Flüchtlingsaufnahmen und der notwendigen Nachbesserung in der Verteidigungspolitik berücksichtigt, kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass Herr Lindner über Jahre Schulden aufbauen muss. Aber wie hatte schon Herr Habeck in einer Talkshow vor kurzem gesagt: „Dann nehmen wir Geld auf. Am Ende ist es nur Geld.“

Erneuerbare durch Cyber-Angriffe gefährdet

Auch im Krisenfall bietet eine reine Energieversorgung auf EE-Basis einen weiteren Schwachpunkt. Wie zu lesen war, sind durch die russischen Cyber-Angriffe i.Z. mit dem Ukraine-Krieg viele tausend Windräder von der Satellitenverbindung getrennt worden. Ein gezielter Angriff auf eine im Schwerpunkt auf Windkraft ausgerichtete Energieversorgung hätte bestimmt das Potential, unsere gesamte Stromversorgungssicherheit lahm zu legen. Was ein Blackout von nur wenigen Tagen für weite Regionen Deutschlands bedeuten würde, kann sich jeder ausmalen.

Wenn jetzt auch noch versucht wird, den EE und insbesondere den Windkraftanlagen per Gesetzeskraft eine Bedeutung für die öffentliche Sicherheit zuzuschreiben, dann ist das grob fahrlässig, da hierdurch Lobbyinteressen und Windkraftprojektierern ein nicht nachvollziehbarer Vorrang eingeräumt würde, der Natur- und Artenschutz und Bürgerrechte stark und unverhältnismäßig einschränkt.

Es bleibt ein fataler Irrtum zu behaupten, dass der schnelle und massive Ausbau der EE zur nationalen Sicherheit und Freiheit beitragen wird. Ob die weiter zunehmende Abhängigkeit von anderen unsicheren Ländern und Autokraten, insbesondere von China, die Situation wirklich verbessert, wird die Zukunft zeigen. Dass China in seinen politischen Reden bereits die Annexion von Taiwan öffentlich propagiert, sollte aber jedem klar sein und somit keine Überraschung mehr darstellen, wenn China auch mittels kriegerischer Handlungen diese Ziele umsetzt.

Aus dem Abhängigkeitsdilemma bei Rohstoffen, Energie und Handel kommen die eher rohstoffarmen Länder Europas ohne deutliche Wohlstandsverluste nicht heraus. Wahrscheinlich müssen wir gegenseitige Abhängigkeiten akzeptieren und versuchen, unsere Interessen auszutarieren. Im Grunde sind gegenseitige Abhängigkeiten friedensstiftend, solange sie nicht zu einseitig werden. Deshalb sollten künftige energiepolitische Entscheidungen wieder mehr ohne ideologische Ausschlüsse und vor dem Hintergrund mehrerer Ziele wie Wirtschaftlichkeit, Umwelt und Versorgungssicherheit diskutiert werden. Auch die ideologisch überfrachtete Forschung und das Politisieren von Wissenschaftlern muss wieder zurückgefahren werden, um die Lähmung in Teilen der Wissenschaft wieder aufzulösen. Nur so kann in diesem Kontext den Herausforderungen des Klimawandels, der Bedrohung der Biodiversität und der Gesundheit der Menschen mittelfristig ausreichend Rechnung getragen werden.

Aktuelle Ausgabe4/2024