Politik soll Versprechen einhalten
Klares Ja zur Impfung, klares Nein zur Impfpflicht
Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), Mitbegründer der Grünen, hat in einem sehr bemerkenswerten Kommentar in der Zeitung „Die Welt“ sich sehr kritisch mit der nunmehr vorgesehenen Impfpflicht auseinandergesetzt, die für ihn „eine verfassungswidrige Anmaßung“ ist. Schily kritisierte die Politik, die noch vor kurzer Zeit kategorisch eine allgemeine Impfpflicht ausgeschlossen hatte und wies darauf hin, dass die Verlässlichkeit von Versprechen in der Politik ohnehin nicht selten eher begrenzt und das Vertrauen in Politik und demokratische Entscheidungsprozesse ohnehin geschwächt ist.
Aktuell bestätigt wird diese Skepsis im Übrigen durch eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA, wonach nur noch 32 Prozent der Befragten den offiziellen Coronazahlen glauben. 57 Prozent antworten mit einem klaren Nein. Sicherlich auch befeuert durch das Geständnis des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD), dass das aktuelle Infektionsgeschehen „in offiziellen Zahlen nicht zutreffend abgebildet ist“.
Schily, selbst dreimal geimpft, kritisierte, dass der Staat sich nicht anmaßen dürfe, einzelnen Menschen eine bestimmte ärztliche Behandlung aufzuzwingen, zumal die neu entwickelten Impfstoffe noch nicht abschließend valide beurteilt werden könnten. Nicht einmal die totalitäre Volksrepublik China habe eine allgemeine Impfpflicht. Für ihn, so Schily, sei die Einführung nicht nur nicht verfassungskonform, sie sei auch ein untaugliches Instrument, das dazu führen werde, die Spaltungstendenzen in Deutschland zu erhöhen.
Aktueller Stand
Nachdem Bundeskanzler Scholz Anfang Dezember erklärt hatte, dass der Deutsche Bundestag zeitnah entscheiden werde - mit Wirkung zum Februar 2022 - und die Länder strenge Kontrollen sicherstellen würden, könnte man eigentlich vermuten, dass die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf bereits eingebracht hat. Dies ist bis heute nicht der Fall. Hintergrund dürfte politisch gesehen u.a. der sein, dass die Koalition in dieser Frage nicht gänzlich einig ist, da es zumindest in Teilen der FDP Zweifel gibt. Also war die Aussage von Scholz, es werde Gruppenanträge von unterschiedlichen Abgeordneten parteiübergreifend geben und dann müsse der Bundestag auf dieser Grundlage eine Entscheidung treffen.
Geht es nach der SPD, wird es eine Impfpflicht ab 18 Jahre für alle geben, allerdings ohne Zwangsmaßnahmen, aber mit Bußgeld bewehrt. In Österreich drohen Bußgelder bis zu 3500 Euro. Rund 300 Richter sollen zusätzlich eingestellt werden, um den zu erwartenden Verwaltungsaufwand schultern zu können. Geht es nach der dortigen Regierung soll die Polizei bei Autokontrollen auch immer gleich den Impfstatus mit kontrollieren. Da kommt bei der Polizei keine Freude auf, denn das bedeutet zusätzliche Arbeit. SPD-Fraktionsvorsitzender Mützenich erklärte in einem Interview, dass man einen Bußgeldkatalog erlassen wolle. Und auf die Frage, was denn passiere, wenn Bußgeld nicht gezahlt werde, antwortete er, dann müsse es eben Sanktionen geben, die auch wirksam sein müssten. Auf die Frage, ob das auch Beugehaft beinhalten könne, erklärte Mützenich, dass man der Ausgestaltung nicht vorgreifen wolle.
Gregor Gysi hat recht
Sie werden sich, liebe Leserinnen und Leser, wundern, dass ich Gregor Gysi von der Linkspartei zustimme. Es ist das erste Mal in meinem politischen Leben, vermutlich auch das letzte Mal. Gysi hat als Jurist in der Talkshow von Markus Lanz den Finger prinzipiell in die pragmatische Wunde des Bußgeldeintreibens gelegt. Wenn man unterstellt, dass nur 10 Millionen nicht bereit sind, sich impfen zu lassen, muss der Staat, wie es auch Mützenich selbst angeführt hat, ein Bußgeld verhängen. 10 Millionen Bußgeldbescheide. Dann kommen 10 Millionen Einsprüche gegen den Bußgeldbescheid. Dann müssen diese 10 Millionen Einwände erneut bearbeitet, wieder verschickt werden mit Verwaltungsgebühr. Dann gibt es wieder einen Einspruch mit hohen Verwaltungsgerichtsverfahren und Sanktionen, welcher Art hat die SPD bisher offengelassen. In letzter Konsequenz, so Gysi, wenn ein Bußgeld nicht eingetrieben werde, müsse es in Ordnungshaft umgewandelt werden, denn der Bürger bleibe nun einmal zahlungspflichtig. Mit anderen Worten: Stillstand der Rechtspflege ist angesagt.
Das Nein von Virologen zur Impfpflicht
Virologe Stöhr führte aus, dass eine Impfpflicht im März eigentlich helfen würde, wenn alle Omikron-Messen bereits gesungen seien.
Virologe Kekulé: Die Debatte um die Impfpflicht habe sich nach seiner Auffassung durch Omikron erledigt. Im Grunde genommen hätten wir es mit einer Art Virus zu tun.
Virologe Schmidt-Chanasit: Nach der Omikronwelle stelle sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Impfpflicht.
Chefvirologe Drosten von der Charité erklärte in der Zeitung „Die Welt“ vor wenigen Tagen: „Wir werden nicht auf Dauer, über alle paar Monate, die gesamte Bevölkerung nachimpfen können. Irgendwann muss das Virus auch in der Bevölkerung Infektionen setzen, und das Virus selbst muss die Immunität der Menschen immer wieder updaten.“ Mit anderen Worten, er redet einer gewissen Art der Durchseuchung das Wort.
Fachverbände sagen nein
Der Chef des Weltärzteverbandes, Frank Ulrich Montgomery, lehnte vor wenigen Tagen einen Impfzwang ab. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, erklärte, dass die Ärzte die Bürger nicht gegen deren Willen impfen würden, und im Übrigen könne man nicht eine Impfpflicht auferlegen, um dann festzustellen, dass die Wirkung immer nur ein paar Monate reicht, wobei er natürlich prinzipiell für das freiwillige Impfen sei.
Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, erklärte, dass die Belegung der Intensivstationen in den meisten Bundesländern zurückgehe. Wenn Omikron nur noch als Grippe angesehen werde, müsse das Virus auch so behandelt werden. Deshalb sei er weder für die allgemeine Impfpflicht noch für die einrichtungsbezogene Impfpflicht.
Kein Impfregister
In Deutschland gibt es noch nicht einmal ein Impfregister, das heißt, der Staat weiß überhaupt nicht, wer geimpft ist und wer nicht. Dass es in Deutschland dann automatisch Probleme mit dem Datenschutz gibt, ist ein anderes Thema. Der Deutsche Ethikrat hat sich deshalb für ein datensicheres Impfregister als prinzipielle Grundlage für die Impfpflicht ausgesprochen. Aber das gibt es bekanntermaßen nicht. SPD-Gesundheitsminister Lauterbach ficht das alles nicht an. Er will auch ohne Impfregister eine Impfpflicht durchsetzen. Der Ethikrat fügte hinzu, dass die Impfpflicht im Angesicht von Omikron neu bewertet werden müsse.
Juristische Fragen
Verfassungs- und Medizinrechtler Josef Lindner kritisierte Lauterbachs Argument, man wolle der Welle im Herbst begegnen mit dem Hinweis, dass eine Impfpflicht auf Verdacht in Unkenntnis einer möglichen Schwere einer eventuell kommenden Variante und der nicht vorhandenen wissenschaftlichen Validität der Wirksamkeit von Impfstoffen für die vierte Welle nicht verhältnismäßig sei. Wenn eine Impfpflicht, dann höchstens aus dem Grunde, die Belastung des Gesundheitssystems oder den Kollaps der kritischen Infrastruktur zu verhindern. Das allerdings ist auch unter Juristen höchst umstritten, denn was passiert eigentlich, wenn der Staat die Kapazität im Gesundheitssystem reduziert und damit, was an dieser Stelle ausdrücklich nicht unterstellt wird, die Kapazität reduziert, um entsprechende Maßnahmen rechtfertigen zu können.
Andere Juristen erklären, dass die Impfpflicht an ihrer Wirkung gemessen werden müsse, also das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, da die Impfpflicht ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sei, der unter engsten Auflagen dann zulässig ist, wenn er genug Nutzen bringt. Aber genau dieser Nutzen wird auch medizinischerseits in Frage gestellt, weil man nicht weiß, reicht die Pflichtimpfung für drei Monate, sechs Monate oder …
Staatsrechtler Professor Rupert Scholz ist der Auffassung, dass unter bestimmten Bedingungen eine berufsbezogene Impfpflicht denkbar sei. Eine Impfung für alle sei jedoch nicht verfassungsgemäß, da Artikel 2 Grundgesetz Absatz 2 festhalte, dass jeder das Recht auf körperliche Unversehrtheit habe. Und eine allgemeine Impfpflicht sei einfach deshalb nicht verhältnismäßig, weil Corona nicht Ebola sei und die Opferzahlen, so schlimm jedes einzelne Todesopfer, ob an Corona oder im Zusammenhang mit Corona verstorben, nicht verhältnismäßig seien. Es komme hinzu, dass Geimpfte ebenso Überträger des Virus sein können wie Ungeimpfte. Von daher sei eine allgemeine Impfpflicht erst recht nicht zu rechtfertigen.
Fazit
Um es klar und deutlich zu sagen: Freiwilliges Impfen macht Sinn, weil die Wahrscheinlichkeit, wenn man doppelt geimpft, geboostert ist, in irgendeiner Form schwer zu erkranken, extrem niedrig ist. Man schützt sich also selbst. Man ist möglicherweise auch weniger oft Überträger des Virus. Darüber streiten sich die Gelehrten. Aber es ist erfreulicherweise erkennbar, dass Omikron weit weniger gefährlicher ist als es Delta war. Auch das ist mittlerweile wissenschaftlich unter Beweis gestellt. Von daher ist die Politik in Berlin gefordert, die Impfpflicht neu zu bewerten. Dies gilt für CDU-Ministerpräsidenten genauso wie für SPD-Ministerpräsidenten oder die Grünen in Baden-Württemberg. Ich teile hier ausdrücklich die Auffassung meiner früheren Bundestagskollegin Jana Schimke, die vor wenigen Tagen erklärt hat, dass die Bundestagsfraktion der CDU bei ihrem Nein aus dem letzten Jahr bleiben sollte. Die Impfpflicht sei nicht verhältnismäßig und man solle die Menschen lieber überzeugen als zwingen. Ebenso teile ich die Auffassung des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Carsten Linnemann, der auf der Basis einer britischen Studie, wonach der Schutz vor der Omikron-Erkrankung nach drei Monaten nachlasse, kritisch angemerkt hat, ob man vor diesem Hintergrund noch bei einer Impfpflicht bleiben könne.
Frage der Glaubwürdigkeit
Alle Spitzenpolitiker aller Parteien haben im Frühjahr, Sommer und im Herbst vor der Bundestagswahl sich dezidiert gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. Nach der Wahl diese Position zu ändern, beschädigt das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Politik. Diese Glaubwürdigkeit ist leider ohnehin nicht allzu groß. Daran ist die Politik aber selbst schuld. Und wenn, wie Gregor Gysi aufgrund einer Umfrage erwähnt, ca. 30 Prozent der Bevölkerung das Vertrauen in die politischen Parteien, von Linksaußen bis Rechtsaußen, verloren haben, ist das ein Signal, das die Politik nicht überhören sollte.
Die große Gefahr besteht, ein weiteres Abwenden von unserer parlamentarischen Demokratie. Die große Gefahr besteht in einer weiteren Spaltung der Gesellschaft, die gefährlich ist.
Deshalb Ja zum freiwilligen Impfen, Ja zu einer verstärkten Überzeugung von Menschen, die impfskeptisch sind, aber keine Diffamierung derer, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht geimpft werden wollen.