Zeitungssterben nimmt dramatische Entwicklung

Kein Lahn-Dill-Anzeiger mehr – kein Sonntag-Morgenmagazin mehr

Wie lange gibt es noch das WNZ-Verlagshaus?

Sinkende Auflage

Seit vielen Jahren ist bundesweit zu beobachten, dass sich die Zeitungslandschaft erheblich verändert. Häufig ist es so, dass es keinen Nachfolger für das Abonnement gibt, wenn ein langjähriger Abonnent verstirbt. Und so verändern sich die Auflagen. Diese sind bundesweit in den letzten Jahren zwischen 20 und 50 Prozent gesunken.

Auch WNZ im Minus

Schaut man sich die Auflage der Wetzlarer Neuen Zeitung an, so hatte die WNZ vor 20, 25 Jahren im gesamten Einzugsbereich des Lahn-Dill-Kreises noch eine Auflage von ca. 80.000 bis 85.000 Exemplaren. Heute sind es – ohne ePaper, das quantitativ keine entscheidende Rolle spielt - ca. 30.000 im gesamten Lahn-Dill-Kreis, und das bei 250.000 Einwohnern. Man kann zur politischen Ausrichtung der Tageszeitung stehen, wie man will. Es ist schade, wenn lokale Zeitungen verschwinden oder an Auflage dramatisch verlieren, denn über die vielen Vereine, Verbände, Institutionen, die es vor Ort gibt, die eine großartige Arbeit machen, kann nur die lokale Zeitung berichten. Hier lag in der Vergangenheit mit Sicherheit ein Versäumnis, dass man diese Marktstärke, warum auch immer, nicht gesehen hat. Es wäre ein Alleinstellungsmerkmal gewesen, denn über die Region berichtet weder die „Frankfurter Rundschau“ noch die FAZ oder die „Welt“ oder andere Zeitungen, und im Internet findet man auch nichts darüber.

Wie will man sich über lokale Politik informieren? Und so nimmt es auch nicht wunder, dass beispielsweise bei Bürgermeister- oder auch Landrat-Direktwahlen immer weniger Bürger zur Wahl gehen, weil viele gar nicht mehr mitbekommen, dass es eine Wahl gibt und wer zur Wahl ansteht. Wenn bei einer Landratswahl die Wahlbeteiligung bei 25 bis 30 Prozent liegt und der Gewinner mit 55 Prozent gewählt wird, hat er bei dieser Wahlbeteiligung de facto ca. 15 Prozent der Wahlbevölkerung hinter sich. Kein Vorwurf an die Kandidaten, nur eine Feststellung.

Übernahme der WNZ durch VRM war nicht gut

Spricht man aktuell mit Journalisten, von den wenigen, die noch da sind, mit freien Mitarbeitern oder auch ehemaligen, dann zeichnet sich ein längerfristiges Bild, das für die Zukunft des Verlagshauses am jetzigen Standort nichts Gutes verheißt. Viele gute Lokaljournalisten, die sich in unterschiedliche lokale Themenfelder eingearbeitet hatten, sind nicht mehr da. Die Zahl ist deutlich abgespeckt. Der Stellenabbau hat voll zugegriffen. Altersteilzeit wird genutzt. Man ist vor rund fünf Jahren aus dem Tarifvertrag ausgetreten, Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden abgezogen und Tariferhöhungen partiell nicht weitergegeben, so wird uns von Journalisten berichtet.

Gravierende Veränderungen

Für den Bürger ist vieles nicht sichtbar oder erst auf den zweiten Blick. Sichtbar ist, dass man nicht mehr wie früher tagsüber durchgängig zur WNZ gehen kann, um an der Pforte empfangen zu werden, wo unterschiedlichste Produkte verkauft wurden, wo ein Verein die Möglichkeit hatte, Karten für Veranstaltungen im Vorverkauf zu verkaufen…, wo man einfach mall in die Lokalredaktion gehen konnte. Das gehört alles der Vergangenheit an. Vorbei auch die Tage der Druckerei in Wetzlar. Eine gigantische Druckerei, vor ca. 20, 25 Jahren neu gebaut, schließt in diesem Jahr. Die Druckerzeugnisse werden künftig in Rüsselsheim gedruckt. Und so stellt sich die prinzipielle Frage, wann wird der Gebäudekomplex aufgegeben, denn die Zahl der Mitarbeiter ist mittlerweile überschaubar. Homeoffice kommt hinzu, so dass man diese Tätigkeit auch in einem normalen Bürogebäude erledigen kann.

Service verringert, Preis erhöht

Schaut man sich das Produkt WNZ heute an, wird man feststellen, dass die jeweiligen Ausgaben meist nur noch 28 Seiten umfassen, deutlich weniger Umfang als noch vor einigen Jahren. Man wird ferner feststellen, dass die Andruckzeiten vorverlegt wurden, so dass die Aktualität gelitten hat. Früher war es eine Selbstverständlichkeit, dass bei einem Sportevent von besonderer Bedeutung, das in der heimischen Region stattfand und das beispielsweise erst um 23 Uhr zu Ende war, das Ergebnis und die Berichterstattung gleichwohl am nächsten Tag in der Zeitung zu finden waren. Auch dies gehört der Vergangenheit an.

Hinzu kommen Preissteigerungen, die im Übrigen auch den Wetzlar-Kurier treffen. Eine Verteuerung der Druckkosten um 25 bis 30 Prozent, eine Verteuerung der Verteilkosten um knapp 10 Prozent erschweren objektiv die Arbeit. Fairerweise kann man dies der VRM in Mainz nicht anlasten. Das Problem ist neben dem steigenden Mindestlohn und den sich daraus ergebenden Folgen, dass der Papiermarkt im Keller ist. China kauft Holz auf, durch Corona bedingt gibt es deutlich weniger Prospekte, die man als Altpapier nutzen kann, so dass die Preise für Papier gestiegen sind und steigen werden. Die fatale Folge ist, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis vermutlich auch die Abonnementpreise deutlich steigen werden.

Kein „Sonntag-Morgenmagazin“ mehr, kein „Lahn Dill erleben“ mehr

Das Sonntag-Morgenmagazin war für die Gründer, die Gebrüder Busse, ein Erfolgsmodell, als sie vor ca. 40 Jahren den Grundstein in einem kleinen Büro in der Wetzlarer Altstadt legten. 32, 40 Seiten Umfang waren seinerzeit Standard. In den letzten Jahren sank die Zahl der zur Verfügung stehenden Seiten dramatisch. Im abgelaufenen Jahr, sicherlich auch Corona bedingt, sank die Seitenzahl auf 10, 12, 14 oder 16, überwiegend mit Anzeigen versehen und wenig aktueller Information. Der Erfolg des Sonntag-Morgenmagazins ursprünglich lag vor allen Dingen auch daran, dass es sonntagsmorgens – wie der Name schon sagt – herauskam und über den gesamten regionalen Sport vom Samstag berichtete. Ein richtiger Informationsgewinn, was dann dazu führte, dass zeitweise auch die WNZ eine Zeitung am Sonntag herausgab.

Aber auch dies gehörte dann bald der Vergangenheit an, weil das Sonntag-Morgenmagazin in der Regel bereits am Freitag gedruckt wurde, so dass der Neuigkeitswert überschaubar war. Der bis vor knapp zwei Jahren erschienene „Lahn-Dill-Anzeiger“, später umbenannt in „Lahn Dill erleben“, wurde in der Corona-Hochzeit vermutlich deshalb eingestellt, weil es kaum Anzeigen gab und Vereine keine Veranstaltungen anbieten konnten. Vielleicht war es auch ein willkommener Anlass, auf diese Art und Weise einen Kostenfaktor im Sinne des Gesamtkonzerns zu beseitigen.

Kurzum, insgesamt keine gute Entwicklung, zumal früher die Chefs der WNZ und ihre leitenden Mitarbeiter aus der Region stammten, hier lebten und wohnten, Land und Leute kannten - dies gilt für einige heute natürlich noch genauso -, aber es ist eben vieles aus Mainz fremdbestimmt, so dass die Gefahr besteht, dass die Identifikation zwischen Tageszeitung und Region weiter abnimmt.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier
Aktuelle Ausgabe4/2024