Gelten althergebrachte Grundsätze nichts mehr?

 

Beispiel 1

Linke twittert Infos aus geheimer Sitzung

In Hessen gibt es den Untersuchungsausschuss zum Mord am ehemaligen Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke (CDU), der mit viel Engagement und Bereitschaft zum schonungslosen Aufarbeiten vor allen Dingen der rechtsextremen Hintergründe arbeitet. In der letzten Sitzung räumte ein Zeuge aus der rechtsextremen Szene ein, dass es in Hessen einen ungewöhnlich hohen Kontrolldruck gegenüber Rechtsextremismus gebe, so dass öffentliche Treffen, auch geheime, nur schwer möglich seien.

So positiv diese Zeugenaussage aus berufenem Munde, so inakzeptabel die Tatsache, dass die Linksfraktion aus einer nichtöffentlichen Sitzung eine schützenswerte Zeugin identifizierte. Damit wird jede Arbeit in jedem Untersuchungsausschuss zur Farce, denn wenn ein Zeuge prinzipiell bereit ist, Interna zu berichten, er aber nicht sicher sein kann, dass das Gesagte in diesem geschützten Raum bleibt, braucht man zukünftig keine Zeugen mehr zu vernehmen. Der Aufklärungsarbeit hat die Linksfraktion damit einen Bärendienst erwiesen. Auch für Linke gilt: Wenn sich Fraktionen auf eine nicht-öffentliche Sitzung geeinigt haben, dann ist sie nicht-öffentlich. Der Landtagspräsident ist gehalten, zu prüfen, ob man die Linken aus dem Ausschuss entfernt, weil sie Aufklärungsarbeit behindern.

Beispiel 2

Konsens über Sitzordnung im Bundestag aufgekündigt

In vergangenen Jahrzehnten war es gute Tradition, dass man im Ältestenrat, das heißt mit allen Fraktionen, durch ihre Fraktionsvorsitzenden vertreten, hinzu kommen die gewählten Mitglieder des Ältestenrates, über die Sitzordnung im Parlament berät, beispielsweise nach einer Wahl, wenn eine Partei herausgefallen ist oder eine neue hinzukommt. Dort gehört es hin, und man hat immer versucht, das Ganze im Konsens zu lösen. So gab es in der letzten Legislaturperiode Überlegungen, die seinerzeitige parlamentarische Mehrheit aus SPD und CDU/CSU räumlich nebeneinander zu platzieren. Dies hätte bedeutet, dass die Grünen vom Präsidiumstisch aus gesehen nach links Richtung Linkspartei hätten weichen müssen, was diese nicht wollten. Also entschied man sich im Ältestenrat, das Ganze so zu belassen. Die Grünen saßen zwischen Union und SPD.

Jetzt hat die FDP gefordert, dass man an die Stelle der CDU in der Mitte des Bundestages rücken müsse, um damit auch sichtbar die neue Ampel abzubilden. Dies würde den Tausch zwischen Union und FDP bedeuten. Was macht man, wenn man im Ältestenrat dafür keine Mehrheit findet? Die Ampel stellt im Bundestag den Antrag, die Sitzordnung zu verändern. Mit Stil hat das nichts zu tun. Und dass die Grünen dies mittragen, wundert schon sehr, weil sie in der letzten Legislaturperiode Nutznießer der Konsensfindung im Ältestenrat waren. Es gab keine Kampfabstimmung. Man hätte auch in der letzten Legislaturperiode mit Mehrheit eine andere Sitzordnung beschließen können. Dies rettet ohne jeden Zweifel die Welt nicht, aber es ist eine Frage des Stils im Umgang miteinander.

Beispiel 3

Vorsitz im Innenausschuss des Bundestages

Lieber eine SED-Funktionärin als einen gestandenen Polizeihauptkommissar

Es fällt zunehmend schwer, nachzuvollziehen, mit welch undemokratischen Mitteln die Fraktionen des Bundestages versuchen, der AfD ihre Rechte zu nehmen, indem man Kandidaten der AfD für Positionen, die ihnen zustehen (!), nicht wählt.

Konkret ging es um den Vorsitz im Innenausschuss. Das Verfahren läuft so, dass die größte Oppositionsfraktion, in dem Fall CDU/CSU, traditionell das erste Zugriffsrecht auf die Verteilung der Ausschussvorsitze hat. Die CDU bezog, wie es parlamentarischer Brauch ist, den Haushaltsausschuss. Dann war die SPD an der Reihe, dann die Grünen und die FDP. Jede von den drei Parteien hätte den Innenausschuss ziehen können. Sie taten es nicht.

Grüne sind schuld

Als die größeren Ausschüsse gezogen waren, stellte man fest, dass der Vorsitz im Innenausschuss noch vakant ist. Die AfD war an der Reihe und zog ihn - aus ihrer Sicht zu Recht. Niemand hatte damit gerechnet. Hintergrund ist vermutlich, dass man dem ehemaligen grünen Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter, der als Minister gehandelt war, postenmäßig abstürzte, nicht Fraktionsvorsitzender wurde, irgendeine Kompensation aus innerparteilichen Gründen zukommen lassen musste. Das war der Vorsitz im Europaausschuss. Legitim, dass die Grünen ihn ziehen, wenn er aus ihrer Sicht so wichtig ist. Das innerparteiliche Gleichgewicht dürfte hier eher eine Rolle gespielt haben. Aber sich dann anschließend zu beschweren, dass die AfD den Innenausschuss zieht, ist nicht korrekt.

Die AfD präsentierte Martin Heß, Polizeihauptkommissar, der seit 2014 Dozent an der Hochschule für Polizei in Baden-Württemberg war bis zu seinem Einzug in den Bundestag 2017, also einen ausgewiesenen Kenner der Materie. Man muss die inhaltlichen Positionen von Martin Heß oder der AfD nicht teilen. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass einer Fraktion aufgrund ihrer Stärke im Deutschen Bundestag ein entsprechender Ausschussvorsitz zusteht. Und wenn die anderen Fraktionen diesen genannten Kandidaten ablehnen, ist das im Sinne der Kultur und des gegenseitigen Respekts, von demokratischen Gepflogenheiten nicht akzeptabel. Jetzt wird im Übrigen kommissarisch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau die Sitzungen leiten, eine bekennende Kommunistin, 1983 Mitglied der SED geworden. Und wer meint, das sind alles Sünden der Vergangenheit, den muss man daran erinnern, dass Pau im November 2006 eine Traueranzeige für den früheren Chef der Hauptverwaltung Aufklärung der DDR-Staatssicherheit, Markus Wolf, veröffentlichte. Das sagt mehr aus über den Gemütszustand von Petra Pau als alles andere.

Sie wurde im Übrigen mit breiter Mehrheit zur Bundestagsvizepräsidentin gewählt, weil diese Funktion der SED-Linkspartei zustand, so wie im Übrigen der AfD auch ein Vizepräsident zusteht, wobei gerade die Ampelkoalition bei den Wahlen die Zustimmung verweigerte. Man hätte im Übrigen auch in der letzten Legislaturperiode die damalige Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) nicht mitwählen müssen, denn zu erinnern ist an einen Demonstrationsmarsch, an dem sie teilnahm, bei dem sie hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ hinterherlief. Es ist nicht bekannt, dass sie sich davon jemals distanziert hat. Es ist das Recht der Grünen, einen Vizepräsidenten zu benennen. Es ist das Recht der SED/Linkspartei, ob man die Kandidaten mag oder nicht. Aber es gilt eigentlich der Grundsatz „gleiches Recht für alle“.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier
Aktuelle Ausgabe4/2024