CDU Lahn-Dill hatte anlässlich des Tags der deutschen Einheit eingeladen - Referent: Jörg Drieselmann, Leiter des Berliner Stasi-Museums

Die Lebenswirklichkeit im SED-Staat „DDR“:
vier Jahre Haft für Kritik am Mauerbau

CDU-Kreisvorsitzender Hans-Jürgen Irmer begrüßte unter den Gästen der traditionellen Feierstunde zum Tag der deutschen Einheit in der Musikschule Wetzlar unter anderen den Landtagsabgeordneten Frank Steinraths, seinen langjährigen MdL-Kollegen Clemens Reif und wies in seinem Grußwort darauf hin, dass es nötig sei, die Erinnerung an die Verbrechen von Stasi und SED im anderen Teil Deutschlands wachzuhalten, denn nach wie vor sitze mit der Linkspartei die SED in bundesdeutschen Parlamenten und sei an Regierungen beteiligt. Dies müsse so deutlich formuliert werden, da die Linkspartei vor dem Bundesverfassungsgericht erklärt habe, rechtsidentisch mit der früheren SED zu sein.

Dann übernahm der Referent das Wort. Er ist „gelernter DDR-Bürger“, geriet aber schon als Schüler „über Kreuz“ mit Lehr- und Lernmethoden im real existierenden Sozialismus zwischen Elbe und Oder, Ostsee und Erzgebirge. Er erlebte die Repressalien, die die Staatsmacht gegenüber nicht angepassten oder gar aufmüpfigen Menschen in der DDR zur Anwendung brachten, am eigenen Leibe. Mit gerade mal 20 Jahren wurde der Wunsch von Jörg Drieselmann nach Freiheit und das damit verbundene Aufbegehren gegen die obwaltenden Realitäten im „ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat“ mit vier Jahren und drei Monaten Haft „honoriert“. Das war 1975. Nach Verbüßung der Hälfte seiner Haftstrafe wurde er von der Bundesrepublik „freigekauft“. Seit nun fast 30 Jahren ist der gebürtige Erfurter Geschäftsführer des Berliner Stasi-Museums - Forschungs- und Gedenkstätte - in der Normannenstraße.

1955 geboren, habe er als ganz junger Mensch „DDR-typisch“ gelebt und sollte zu einem „DDR-Bürger“, sprich zu „treuer Ergebenheit gegenüber den Idealen des Sozialismus“ erzogen werden. Dabei seien die Funktionäre bei weitem nicht so „tumb“, wie es in ihrem öffentlichen Auftreten oft den Anschein gehabt haben mag, vorgegangen. Denn die „nachhaltig konstruierte“ Diktatur DDR habe bei der jungen und ganz jungen Generation zunächst nicht auf offensichtliche Gewalt, sondern auf Erziehung gesetzt. Dabei ist es laut Drieselmann nicht darum gegangen, die Menschen zu Kommunisten zu erziehen, sondern zu unterwürfigen DDR-Bürgern. Anders gesagt: es sollten den Schülern nicht „wolkige sozialistische Ideale“ vermittelt, sondern sie sollten zur Anerkennung der uneingeschränkten Definitionshoheit der SED und zu „systemischen Unterwerfungsgesten“, die von ihnen verlangt wurden, erzogen werden. Nicht zufällig seien 99 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in der DDR Mitglied der „Pionierorganisationen“ gewesen. Viele sicher freiwillig, viele aber auch auf Druck elterlichen Willens, die damit Probleme von ihren Kindern abhalten wollten.

Dass der junge Jörg Drieselmann und mit ihm zahlreiche Gleichgesinnte diesen von der Partei vorgeschriebenen und vorgezeichneten Weg nicht gehen und sie sich „wie Teenager in aller Welt“ verhalten wollten und dies auch taten - sie trugen die „falschen“ Hosen, hörten die „falsche“ Musik und ließen sich die Haare lang wachsen -, machte sie zu „Feinden des Sozialismus“. Dass Drieselmann die Feindschaften, die ihm seitens des Staates angetragen wurden, auch als solche Feindschaften angenommen habe, führte bei ihm dazu, „etwas zu tun“. „Ich neigte dazu, das zu sagen, was ich denke - und wollte wissen, was andere von Erkenntnissen, Meinungen und Feststellungen, die nicht willkommen waren, halten.“ So war er der Meinung, dass man über den Bau der Mauer und über Tote an der Grenze reden müsse. Und er malte ein entsprechendes Plakat, das er mit in die Schule nahm. Die Stasi sah das aber alles anders. Folge: vier Jahre und drei Monate Gefängnis.

Nach dem Freikauf kam Drieselmann zunächst nach Gießen, um dann wieder nach West-Berlin zurückzukehren, wo er das Abitur nachholen konnte. In einem mündlichen Prüfungsteil habe er die Note 1 erhalten, obwohl oder gerade weil er sich heftig mit einem Prüfer zum Thema Mauerbau gestritten habe. Das feste und mit Argumenten unterlegte Beibehalten der eigenen Überzeugungen, habe am dem Westberliner Gymnasium die Note 1 zur Folge gehabt. „In der DDR wäre ich dafür eingesperrt worden.“ Was ihn allerdings sehr irritiert habe, war ein großer Teil der westdeutschen Studentenschaft, der „stramm auf orthodox-marxistischem Kurs war“.

Drieselmann zollte Bundeskanzler Helmut Kohl großen Respekt für seine Standhaftigkeit und seinen Weitblick in Sachen deutsche Einheit, die er nie aus den Augen verloren habe. Bezüglich des von ihm geleiteten Berliner Stasi-Museums, das sich selbst trage und ohne staatliche Förderung auskomme, sieht sich Drieselmann auf ähnlich unabhängigem Wege abseits des Mainstreams. Zum Beispiel unter dem Stichwort „gendern“. Das Stasi-Museum bediene sich in seinen Veröffentlichungen und Schriftverkehren des alten „Duden-Deutsch“. Es werde nicht gegendert - und dabei bleibe es auch.

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Franz Ewert

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