Bundestagswahl 2021
Historisches Versagen des Präsidiums der CDU
Rücktritt von Laschet und Präsidium überfällig
Von Hans-Jürgen Irmer
Wenn eine Regierungspartei bei einer Wahl rund 4,2 Millionen Stimmen verliert, die unterschiedlichen Mitbewerber entsprechend ansteigen, dann muss es dafür Gründe geben, triftige Gründe. Ein entscheidender Grund ist die Auswahl des Kanzlerkandidaten, der ein historisch schlechtes Ansehen in der Bevölkerung hatte. Es hat noch nie (!) einen Kandidaten gegeben, der auf der Skala von +5 bis -5 als Kandidat mit -0,5 angesehen war. Dass dieser Kandidat, wie selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung mitteilen musste, keine große Bindungswirkung in Richtung Union entfaltete, war daher völlig klar, und die Presse berichtete auch nach der Wahl über die Anti-Laschet-Stimmung, die sich durchgesetzt habe. Die SPD hat dadurch, auch das ein Ergebnis der Laschet-Schwäche, profitiert. Die Basis der CDU, nicht nur im Lahn-Dill-Kreis, hat dies von vorneherein gespürt und artikuliert. Wer es nicht verstanden hat und wer sämtliche Bedenken in den Wind geschlagen hat, waren der Bundesvorstand der CDU und das Präsidium.
Drei Fehler
Im Nachhinein betrachtet muss man im Grunde genommen drei Fehlentscheidungen mit als Ursache für dieses Desaster heranziehen.
Fehler Nummer 1 war, dass Merkel 2018 zwar nach dem Verlust vieler Prozente bei Landtagswahlen vom Parteivorsitz zurücktrat, aber nicht gleichzeitig Sorge dafür traf, dass zeitnah ein Nachfolger für sie in Amt und Würden kam, um damit für den künftigen Wahlkampf einen Amtsbonus zu erzielen. Der Amtsbonus hat dem Vizekanzler neben der Schwäche des CDU-Kandidaten entscheidenden Vorteil gebracht. So musste ein ohnehin schwacher Kanzlerkandidat ohne Amtsbonus und nicht vertraut mit Berliner Detailkenntnissen antreten.
Fehler Nummer 2 war, dass Friedrich Merz vom Establishment auf dem Parteitag als Bundesvorsitzender der CDU verhindert wurde, obwohl eine überwältigende Mehrheit an der CDU-Basis, aber auch der CDU-Wähler, ihn gerne dort gesehen hätten.
Fehler Nummer 3 war, dass die beiden Präsidien von CDU und CSU sehenden Auges zwei Kandidatenzüge aufeinanderrasen ließen, so dass es dann irgendwann zu einem Knall kommen musste, in dessen Verlauf Söder erklärte, dass er einen Kandidaten Laschet akzeptiere, wenn die CDU dies so wolle. Bereits im Vorfeld der Frage, Söder oder Laschet, gab es eine Fülle von Bürgern, die in Form von Briefen sich als CDU-Wähler zu erkennen gaben, aber deutlich machten, dass man die Union nicht wählen werde, wenn Laschet Kandidat würde. Diese berechtigten Bedenken habe ich, unterlegt mit Zitaten und unterstützt von der eigenen Basis, einigen Spitzenpolitikern der Union zur Kenntnis gegeben. Ich habe Armin Laschet in einem persönlichen Brief gebeten, er selbst möge Söder als Kanzlerkandidaten vorschlagen. Dies wäre ein Akt der Größe und würde von vielen auch so gesehen werden. Bekanntermaßen hat dies nichts genutzt, und so hat man erneut gegen den erklärten Widerstand der Basis eine falsche Personalentscheidung getroffen, aus welchen Gründen auch immer.
Das Problem ist häufig, das gilt für andere Parteien sicherlich in ähnlicher Form, dass die Spitze nicht immer das Ohr an der Basis hat und dass auch bei denen, die in der Spitze vielleicht gelegentlich anderer Meinung sind, häufig der Mut fehlt, gegen den Stachel zu löcken und auf Probleme und Bedenken hinzuweisen. Man kennt sich ja.
Man hat völlig unterschätzt, auch dies Gegenstand meiner Briefe, welche Bedeutung die eigene Parteibasis hat, wenn es um das Kämpfen geht. Ich kann mich persönlich über eine mangelnde Bereitschaft meiner Freunde vor Ort nicht beschweren – im Gegenteil. Aber die Menschen merken natürlich sehr schnell, ob die Basis hinter dem eigenen Kandidaten steht oder nicht. Und es gab kaum einen Wahlkampfstand, an dem man nicht erklären musste, warum Union trotz Laschet. Wenn man selbst viele Wahlkämpfe über Jahrzehnte hinweg bestritten hat, entwickelt man ein Gefühl für die Stimmung im Lande, und die Stimmung war bezogen auf den Kandidaten der CDU unterirdisch schlecht. Wie oft ist gesagt worden, hättet ihr den Söder aufgestellt… Heute wissen wir, mit einem Kandidaten Söder hätte die Union deutlich jenseits der 30-Prozent-Marke gelegen und viele Diskussionen heute würden sich erübrigen. Aber das ist Geschichte.
Da tröstet es auch relativ wenig, wenn Generalsekretär Paul Ziemiak mitteilt: „Es lag nicht an Dir, sondern am Bundestrend.“ Da hat er recht, aber das hilft nicht. Es geht dabei nicht um mich. Ich hätte gerne noch einmal vier Jahre weitergemacht. Aber ich bin in einem Alter, wo andere schon lange in Pension oder Rente sind, so dass ich damit persönlich klarkomme. Es geht vielmehr um die vielen Kollegen, die größtenteils in einer anderen Alterskohorte sind, und die durch diesen Bundestrend bedingt, ohne etwas dafür zu können, aus dem Bundestag ausscheiden müssen. Das ist das eigentlich Bedauerliche. Dass es im Rahmen von Wahlen immer zu personellen Wechseln kommt, gehört zur Demokratie dazu. Aber in dieser Massivität einen solchen Einbruch zu erleiden, ist doch sehr selten.
Konsequenzen
Deshalb sind Konsequenzen nötig. Es reicht nicht, wenn Laschet erklärt, er habe Fehler gemacht und er wisse, dass er daran einen Anteil habe. Wenn diese Erkenntnis tatsächlich vorhanden ist, dann muss man die Konsequenz ziehen. Wenn er aber gleichzeitig am Wahlabend darüber spricht, man habe eine Verantwortung zur Regierungsbildung, dann wird spätestens hier klar, dass dieser Kandidat die Lebenswirklichkeit ausblendet. Deshalb wird es keinen Aufbruch im besten Sinne des Wortes geben. Je nach Umfrage wollen zwischen 50 und 70 Prozent der Befragten den Rücktritt von Laschet als Bundesvorsitzender, und sie haben recht, denn wenn nur 13 Prozent der Befragten Laschet als Kanzler haben wollten, dann wird klar, wer die Verantwortung hatte: Laschet, der unbedingt kandidieren wollte, der Bundesvorstand, der nicht die Kraft hatte, das Votum der Basis und der Bundestagsfraktion, die ebenfalls Söder wollte, zu berücksichtigen. Dann bleibt nur eines, die Verantwortung zu übernehmen, zurückzutreten, den Weg freizumachen für einen neuen Bundesvorstand, und zwar ohne Wenn und Aber.