Taiwans Botschafter in Wetzlar

Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh:
"Unser Verhältnis zur Volksrepublik ist großartig:
China ist groß, wir sind artig"

Die Probleme beginnen schon damit, dass sich Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh nicht "Botschafter" nennen darf, sondern sich seiner diplomatischen Aufgaben als Vertreter seines Heimatlandes in Deutschland offiziell nur unter der Bezeichnung "Repräsentant von Taiwan" widmen kann. Taiwan, die kleine chinesische Insel-Demokratie mit einer Bevölkerung von 24 Millionen, gelegen vor der westlich in bedrohlich dichtem Abstand benachbarten großen kommunistischen Festlands-Diktatur, mit 1,4 Milliarden Einwohnern fast 60 Mal größer, ist ein isoliertes, teilweise geächtetes, im Geheimen und im Stillen jedoch von der Mehrzahl der Länder weltweit bewundertes und geachtetes Land. Das weniger ums Überleben "kämpft", als mehr darauf hofft und baut, angesichts des großen und bedrohlichen Schattens der "Volksrepublik" mit Hilfe wohlgesonnener Staaten, vorneweg die USA, Japan und Westeuropa, überleben zu können.

"Botschafter" - nicht "Repräsentant"

Hans-Jürgen Irmer, Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Lahn-Dill, begrüßte Prof. Shieh ausdrücklich als "Botschafter" seines Landes in Wetzlar, wo der 66-Jährige studierte Germanist und Vater zweier Kinder aus der Innensicht eines Betroffenen zum Verhältnis Taiwan-China und seinen Auswirkungen referierte. Auswirkungen, die insbesondere sein Heimatland betreffen, das zwar weltweit als Demokratie Anerkennung findet, nicht aber als souveränes Land. Deshalb spreche er in Wetzlar eben als "Repräsentant Taiwans" in Deutschland, dabei allerdings die Anrede als "Botschafter" sicher wohlwollend zur Kenntnis nehmend. Irmer beschrieb die schwierige Lage des nur 180 Kilometer vom Festland entfernten Inselstaates im Chinesischen Meer mit den Worten des mittlerweile "auf Lebenszeit gewählten" kommunistischen chinesischen Staats- und Parteiführers Xi Jinping, der anlässlich des 100. Geburtstages der KP Chinas in Peking wissen ließ: "Die Lösung der Taiwan-Frage und die Verwirklichung der vollständigen Wiedervereinigung mit dem Mutterland sind die unbeirrbaren historischen Aufgaben der Kommunistischen Partei Chinas und das gemeinsame Bestreben des gesamten chinesischen Volkes. Er machte deutlich, dass sämtliche Unabhängigkeitspläne Taiwan "entschlossen zerschlagen" würden. Und niemand, so seine Botschaft an die Welt, solle Entschlossenheit, Zielstrebigkeit und Fähigkeit, dieses Vorhaben umzusetzen, unterschätzen.

Taiwan = gelebte Freiheit

Wer sich zu den Freunden und - heimlichen - Unterstützern Taiwans zählt, weiß um die berechtigten Sorgen Taiwans, die im Blick auf die Entwicklungen in und um Hongkong, wo sich China nicht an geschlossene und völkerrechtlich verbindliche Verträge schert, nicht kleiner werden (können). Botschafter Shieh geht in seinen Befürchtungen bezüglich einer "militärischen Attacke" sogar so weit, nicht mehr die Frage nach dem "ob" eines chinesischen Griffs nach Taiwan zu stellen, sondern die Frage nach dem "wann". Im Augenblick sieht es laut Shieh "noch ruhig aus", was aber nicht so bleiben müsse. Dabei spricht er China das Recht eines Anspruchs auf Taiwan ab. Denn die 1949 auf dem Festland gegründete kommunistische Volkrepublik China habe Taiwan "keinen Tag lang regiert". Im Vorausblick auf eine in Zukunft mögliche wirkliche Demokratie in China ist laut Shieh Taiwan "nicht die Frage, sondern die Antwort", denn in Taiwan werde Demokratie gelebt und praktiziert.

China provoziert regelmäßig

Die Gegenwart allerdings sieht anders aus. China provoziert Taiwan laut Botschafter Shieh "regelmäßig". Flugzeuge und U-Boote verletzten permanent taiwanesischen Luft- und Seeraum. China beanspruche die Kontrolle die Handelsrouten im südchinesischen Meer einschließlich der "Taiwan-Straße". Denn wer das südchinesische Meer kontrolliert, der kontrolliere die Wirtschaft, so Shieh, weshalb auch Taiwan für China strategisch und wirtschaftlich von höchstem Interesse sei. Allerdings habe das aggressive, offensive und rücksichtslose Vorgehen Chinas in dieser Region auch die Anrainerstaaten sowie die USA und die EU auf den Plan gerufen, denn gerade die europäischen Wirtschaftsnationen würden erpressbar, hätte China diese Handelsroute unter Kontrolle. Deren Engagement - auch mit Schiffen in der Region - habe den Vorteil für sein Land, dass Taiwan nun nicht mehr ganz alleine dem Druck des großen Nachbarn standhalten müsse - und sich daher etwas sicherer fühle.

Von allem ausgeschlossene Demokratie

"Leider ist Taiwan dennoch noch immer ein Tabu in dieser Welt". Mit etlichen Folgen. So erhielten Taiwans Präsidentin und vier ihrer Minister (für Außen, Innen, Wirtschaft und Verteidigung) keine Einreisegenehmigung in die meisten Länder, gerade auch in die mit China wirtschaftlich verbundenen Staaten Europas. In Deutschland - im Gegensatz zu beispielsweise Frankreich und Großbritannien - umfasse diese Einreisesperre auch den Präsidenten des taiwanesischen Verfassungsgerichts und den Parlamentspräsidenten. Würde er, Shieh, zum Beispiel auf den Posten des taiwanesischen Außenministers berufen, müsste er binnen weniger Tage Deutschland verlassen. Auf Betreiben Chinas ist Taiwan seit 50 Jahren aus der UNO ausgeschlossen - nicht einmal der Status als Beobachter bei der Weltgesundheitsorganisation WHO wird erlaubt. Taiwan hat ebenso keinen Zugang zu Interpol wie zu praktisch allen anderen internationalen Gesellschaften.

Da helfe auch nicht die Tatsache oder besser der offensichtliche Widerspruch, dass der taiwanesische Außenhandel zu 40 Prozent über China und Hongkong abgewickelt werde. Der Grund, dass diese Wege über China trotz der allgemein sehr angespannten Lage "funktionieren", ist in der Hauptsache des größte taiwanesische Unternehmen TSMC, ein führender Halbleiterproduzent. China - und nicht nur China - benötigt die elektronischen Spitzen-Produkte aus Taiwan dringend.

Standhalten, wo Freiheit bedroht ist

Taiwan habe Freiheit und Demokratie erkämpft, so Shieh, der sicher ist, dass die große Mehrheit der Menschen in China den gleichen Wunsch haben. Taiwan zeige, dass Demokratie sehr gut zum chinesischen Kulturkreis passe, auch wenn die Kommunisten auf dem Festland das Gegenteil behaupteten. Also kämpft Taiwan weiter mit diplomatischen und politischen Mitteln um Freiheit, Demokratie und Anerkennung. "Wo Freiheit bedroht ist, gilt es standzuhalten" so der Botschafter, ansonsten gehe die Freiheit schnell verloren. So hoffe die "kleine Demokratie Taiwan", ihre Freiheit in einer globalisierten und ihr in weiten Teilen wohlgesonnenen Welt verteidigen zu können.

 

Prof. Dr. Jhy-Weyh Shieh, der "gelernte" Germanist, würzte seine faktenreiche Beschreibung des Verhältnisses Taiwan-China mit allerlei Aphorismen. Hier drei Beispiele:

"Unser Verhältnis zu China ist großartig. Unser Nachbar ist groß, und wir sind artig."

"Taiwan ist eine Volkswagen-Demokratie. Wir sind das Volk - und dürfen es wagen."

"In Taiwan gibt es heute eine gefestigte Leberwurst-Redefreiheit. Wir reden frei von der Leber weg. Was die Kommunisten dazu sagen, ist uns Wurst."

Über den Autor

Franz Ewert

Bildergalerie

Aktuelle Ausgabe4/2024