Dr. Hubertus Knabe

Erinnerung an die Geschichte der DDR ist „merkwürdig verblasst“

Rolle der SED nicht vergessen.

60 Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer, der die Teilung Deutschlands für 28 lange Jahre manifestierte, war Hubertus Knabe auf Einladung des CDU-Kreisverbandes Lahn-Dill im Herborner „Gutshof“ gebeten worden, in Referat und anschließender Diskussion Antwort auf die Frage zu geben, ob Deutschland aus diesem speziellen Teil der Geschichte gelernt habe. Optimistisch beantwortet könnte diese lauten: „Ja, aber ..." Die pessimistische Einschätzung kommt dagegen eher zum Schluss: „Wenig bis nichts“. Was fatal, sicher aber nicht an den Haaren herbeigezogen ist.

Der 62 Jahre alte und in Unna geborene Historiker und Buchautor war Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen von deren Gründung im Jahr 2000 an bis zu seiner Abberufung im November 2018 durch den neuen Berliner Kultursenator, der der Partei Die Linke angehört. In seinen Veröffentlichungen beschäftigt sich Knabe mit der Westarbeit der DDR, dem Ministerium für Staatssicherheit, den Oppositionsbewegungen im Ostblock, der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte sowie der Aufarbeitung der DDR-Diktatur.

Die Linke als SED-Nachfolgerin mitverantwortlich

Der CDU-Kreisvorsitzende Hans-Jürgen Irmer begrüßte Knabe als einen „Experten mit bundesweit hervorragendem Ruf“. Der Mauerbau sei nun zwar schon 60 Jahre her, „nach wie vor aber aktuell“. Im Blick auf dieses einschneidende Ereignis sei die deutsche Öffentlichkeit, in Sonderheit die Lebensjüngeren leider „in großen Teilen uninformiert, aber auch geschichtsvergessen“. Irmer erinnerte daran, dass die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) dieses Schandmal mit Stacheldraht, Schießbefehl, Toten und Verletzten (sowie neben vielem anderen auch den Freikauf aus DDR-Gefängnissen von rund 30.000 Menschen für 80.000 D-Mark pro Person) zu verantworten habe. Und die heutige im Bundestag vertretene Linkspartei, über verschiedene Namensänderungen direkt aus der SED hervorgegangen, habe bis zum Bundesverfassungsgericht juristisch - und letztlich erfolgreich - erstritten, als rechtsidentisch mit der der SED anerkannt zu werden (um vor allem an deren Millionen zu kommen, deren Verbleib bis dato in weiten Teilen ungeklärt ist). „Die Partei Die Linke ist also rechtsidentisch mit der ehemaligen Einheitspartei der DDR“, wozu auch „eine bekennende Kommunistin“, wie Janine Wissler als Linken-Vorsitzende passe. Irmer warnte davor, „den Rattenfängern von damals erneut auf den Leim zu gehen“ und erinnerte an die „hohe Affinität“ der Parteiprogramme der KPD von vor einem Jahrhundert mit dem Parteiprogramm der Linken von heute.

Tatenlosigkeit der Westmächte ermunterte Ulbricht

Der Bau der Mauer ab dem 13. August 1961 hat laut Hubertus Knabe einen langen organisatorischen Vorlauf gehabt, mit dem der damalige Staatsratsvorsitzende und „starke Mann“ der DDR, Walter Ulbricht, einen gewissen Erich Honecker beauftragt habe. Der Beschluss zum Bau einer Mauer als einer befestigten Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland sei an dem kleinen Döllnsee, gelegen in der Schorfheide nördlich von Berlin, gefallen. Und zwar in einer von Ulbricht genutzten geheimen Residenz, die einst Hermann Göring 1934/35 als Gästehaus hatte erbauen lassen.

Ulbricht sei im Blick auf den Mauerbau zunächst sehr unsicher und angesichts möglicher Folgen durchaus ängstlich gewesen. Angesichts der ersten noch mit Stacheldraht verlegten Grenzbefestigung haben laut Knabe die im freien Teil der Stadt angesiedelten Westalliierten lange überlegt, was zu tun sei. Um letztlich zum Ergebnis zu kommen: Wir unternehmen nichts. Das wiederum habe Ulbricht bestärkt und ermutigt, kurz darauf die „Phase 2“, den Bau einer Mauer aus Hohlblocksteinen, in Angriff zu nehmen. Dieser ersten Generation der Mauer folgte in den 1970er Jahren die aus riesigen Betonsegmenten bestehende Mauer, die letztlich an Herbst 1989 den „Mauerspechten“ zum Opfer fiel.

Begriff „Mauer“ ist eine Verharmlosung

Allerdings nennt Knabe den Begriff Berliner "Mauer" eine Verharmlosung. Es sei eine Grenzbefestigung der besonderen Art gewesen. Mit 100 Meter breiter und nachts hell erleuchteter Sperrzone, "Todesstreifen" genannt, 103 Wachtürmen, Wachsoldaten, Schießbefehl, 250 Hundelaufanlagen, Kfz-Sperrgraben, Panzersperren, Signaldrähten und Streckmetall-Zaun. Und dahinter noch eine zweite Mauer, um die Ostdeutschen am Erreichen der Sperrzone zu hindern. Am 24. August 1961 habe der erste Ostdeutsche seinen Fluchtversuch über die Mauer hinweg nicht überlebt. Als erster Toter von 140 an der Berliner Mauer - und über 300 an der innerdeutschen Grenze. Der 18 Jahre alte Chris Gueffroy war das letzte Maueropfer in Berlin. Mit das bekannteste Peter Fechter, der im Todesstreifen angeschossen wurde und dort verblutete, weil sich niemand um den Verletzten kümmerte.

Der mehrfach unternommene Versuch, in Berlin eine Straße nach Peter Fechter zu benennen, sei bis heute gescheitert. Die letzte Ablehnung seitens des rot-rot-grünen Senats lautete alles Ernstes: Fechter war keine Frau. Im Falle der "Rudi-Dutschke-Straße" ist dies laut Knabe allerdings kein Problem gewesen.

Wie viele Menschen bei Fluchtversuchen über die Ostsee oder durch die Donau ertrunken sind, ist laut Knabe nicht erforscht. Bei schätzungsweise mehr als 5000 Fluchtversuchen über die Ostsee seien 4000 Menschen von den DDR-Grenzern gefasst worden. Weitaus größer sei die Zahl derjenigen, die im Vorfeld des eigentlichen Fluchtversuches gefasst und eingesperrt wurden. Laut Knabe kamen über 72.000 Ostdeutsche wegen der "Verletzung des Grenzsystems" in Haft.

Wissen um DDR-Unrecht scheint verlorengegangen

Hat Deutschland aus diesem Teil seiner Geschichte gelernt? Knabe stellt fest, dass die Ereignisse um die DDR-Wirklichkeit im Allgemeinen und die "Mauer" im Besonderen "merkwürdig verblasst sind" und das Wissen darüber verlorengegangen scheint. Die Schulen, so die Klage Knabes, werde ihrem Lehrauftrag auf diesem Feld nicht gerecht. Junge Menschen verstünden nicht, dass diese Grenzbefestigungen unmittelbar mit dem Versuch zu tun hatten, einen "neuen Menschen" und ein "säkulares Paradies" nach kommunistischem Vorbild zu schaffen. Was aber nur mit Gewalt, Überwachung und Bestrafung verbunden war. Grund für Ulbrichts Mauerbau war die Notwendigkeit, die Menschen einzusperren, damit sie aus diesem "Paradies" nicht ausbrechen konnten.

Das ganze Vorhaben war laut Knabe ein "einziges Unrecht". Deshalb sei es in höchstem Maße unverständlich, dass heute viele Politiker sich nicht scheuen zu sagen, dass die DDR kein Unrechtsstaat gewesen sei. Knabe wies auf "immer beliebter werdende Geschichts-Umdeutungen" hin und zitierte beispielhaft die SPD-Vorsitzende Esken: "Wer den Begriff Sozialismus negativ verwende, hat keine Ahnung." Esken und Teile der SPD (Kühnert) sowie die Linkspartei wollten das "Experiment Sozialismus" wiederholen. "Sie sprechen von einer Renaissance des Sozialismus - und ernten dafür praktisch keinen Widerspruch", beklagt Knabe. "Auf diese Weise gehe "die Charakterisierung der DDR als das, was sie war, verloren". Deshalb lerne die junge Generation von heute auch nichts aus der Geschichte, weil sie über geschichtliche Tatsachen schlicht nicht informiert werde.

Wiederholt sich Geschichte?

Hubertus Knabe vermutet, dass Deutschland insgesamt aus der Geschichte nichts gelernt hat. Was aber nicht verhindert, dass sich Geschichte wiederholt. Dass Menschen, die eine anderer Meinung hatten, "negativ angegangen" wurden, sei in der DDR Alltag gewesen. Dass sich dies aber 30 Jahre nach dem Fall der Mauer in Deutschland wiederhole, "macht mir Angst, weil ich das Prinzip kenne", so Knabe, der die Zunahme der "Hasenfüßigkeit" auch im Bundestag kritisierte. Ihm mache große Sorgen, dass man als Folge eines herrschenden "politischen Konformitätsdrucks" nicht mehr zu seinen Überzeugungen stehe. Auch in den öffentlich-rechtlichen Medien "hat Haltungsjournalismus Einzug gehalten", der nicht mehr informieren, sondern in bestimmte "Mainstream-Richtungen" beeinflussen wolle.

So habe auch der "Wert der Freiheit" in Umfragen messbar an Bedeutung verloren. Dagegen habe in Deutschland so etwas wie "Staatsfixiertheit" zugenommen. Der "Ruf nach dem Staat" werde immer lauter, zugleich nehme die Eigenverantwortung ab. Diese Entwicklung zeige sich auch in der Wirtschaft: staatliche Reglementierung greife um sich, die Eigeninitiative gehe zurück: "Genau so war es in der DDR."

Mangelhafte historische Aufarbeitung

Angst, Misstrauen und Vorsicht gehören zum Alltag in einer Diktatur. Menschliches Zusammenleben könne aber nur auf der Basis von Vertrauen gelingen. "Das aber gab es in der DDR, wie in allen Diktaturen, deren Markenzeichen das Denunziantentum ist, nicht." Und eine strafrechtliche Aufarbeitung der DDR hat laut Knabe nach der Wende nur in geringem Maße stattgefunden. "Das ist schlecht, aber erklärbar." Denn der Einigungsvertrag, der die Unterschrift Wolfgang Schäubles trägt, findet sich die für Knabe unverständliche Klausel, dass im wieder vereinten Deutschland nur das strafrechtlich verfolgt werden kann, was auch zu DDR-Zeiten schon strafbar war.

Das Fehlen und der Mangel an einer tiefgreifenden geschichtlichen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aufarbeitung des Unrechtsstaates DDR finde beredten Ausdruck auch in der Tatsache, dass es in Deutschland keinen einzigen universitären Lehrstuhl für DDR-Geschichte gibt. (Anm. d. Red.: Dafür aber 200 professorale Lehrstühle an deutschen Hochschulen für "Geschlechterforschung", sogenannte "Genderprofessuren".)

Über den Autor

Franz Ewert

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Aktuelle Ausgabe07.11.