Wenn der Verkehr in und um Wetzlar nicht kollabieren soll:
Wiederaufbau der Hochstraße 1:1 einzige realistische Lösung
Seit einigen Jahren ist bekannt, dass die Standfestigkeit der Hochstraße durch Wetzlar gefährdet ist und in sieben Jahren nicht mehr befahrbar sein wird. Man kann möglicherweise durch technische Stützen die Lebenszeit um ein, zwei oder drei Jahre verlängern, aber das löst das Problem prinzipiell nicht.
Was ist zu tun?
Das Land Hessen hat im Auftrag des Bundes Varianten und Überlegungen anzustellen, die in Kurzform ausgedrückt sich auf zwei Varianten reduzieren, und zwar eine Umfahrung von Dalheim Richtung Aßlarer Kreuz, Anschluss dort, Weiterfahrt Richtung Wetzlarer Kreuz. Das entspricht einem Umweg von ca. sechs Kilometern. Diese Variante gibt es als sogenannte Einschnittsvariante, das heißt, man muss einen Natureingriff in einer Breite von ca. 100 Metern und einer Länge von knapp drei Kilometern vornehmen, das Ganze ohne Einhausung. Variante 2 ist der sogenannte Tunnel im gleichen Beritt, wobei der Tunnel dann nur zweispurig sein soll.
Kosten
In einem Schreiben vom 3.5.2020 hat Hessens Verkehrsminister Al-Wazir (Grüne) erklärt, dass die Tunnelvariante etwa 2- bis 2,5-mal so teuer sei. Eine vermutlich durchaus realistische Einschätzung, die sich allerdings nicht mit aktuellen Zahlen aus dem Frühjahr dieses Jahres deckt, denn hier gab es plötzlich völlig andere Kostenschätzungen. Dort ging man von der Einschnittsvariante als der preiswertesten Variante mit Kosten von etwa 300 Millionen Euro aus. Die Tunnellösung belief sich nach Schätzungen auf rund 420 Millionen Euro, und man höre und staune, die teuerste Lösung sei der Wiederaufbau der Hochstraße auf der bestehenden Bestandstrasse mit rund 460 Millionen Euro.
Wenn man die Zahlen von Minister Al-Wazir vom Mai 2020 zur Grundlage nimmt, müsste der Tunnel mindestens 600 bis 700 Millionen Euro kosten, offensichtlich heruntergerechnet, um eine Hochstraßenlösung von vorneherein zu unterbinden. Minister Al-Wazir hat in einem Schreiben vom 5.3.2021 mitgeteilt, dass es Planungen bezüglich eines Neubaus auf der Hochstraßentrasse nicht (!) gebe. Das habe man in Hessen nicht erarbeitet, und im Übrigen müsse man dem Bund eine von Hessen favorisierte Planung vorlegen unter Beachtung haushaltsrechtlicher Gesichtspunkte, das heißt also, im Prinzip die preiswerteste Variante.
Dass die Hochstraßeninstandsetzung plötzlich die teuerste sein soll, erschließt sich nicht, wenn man vor allen Dingen weiß, dass das Land im April 2016 selbst noch öffentlich erklärt hat, dass ein Wiederaufbau der Hochstraße sich finanziell im hohen zweistelligen Bereich bewege, also bei ca. 90 Millionen Euro. Das sind schon eklatante Unterschiede.
Unendlich viele offene Fragen
Auf Wunsch der Bürgerinitiative B 49 Hochstraße habe ich dem hessischen Verkehrsministerium viele Fragen gestellt, deren Beantwortung bis heute offen ist. Wenn man wie das Land offensichtlich die Einschnitts- oder Tunnelvariante plant, so sind in jedem Fall Standsicherheitsgutachten im Bereich der Deponie Eulingsberg vorzunehmen, ebenso Grundwasseruntersuchungen. Sämtliche Gas- und Stromleitungen in diesem Bereich wären von den Neubaumaßnahmen tangiert. Das heißt, eine Verlegung ist nötig, Bauzeitenpläne sind zu erarbeiten, Verhandlungen mit Netzbetreibern, neue Flächen sind anzumieten oder anzukaufen. Kurzum, es dauert.
Losgelöst davon benötigt man für die Einschnittsvarianten eine Gesamtfläche von ca. 25 bis 30 Hektar, die nicht (!) im Besitz des Staates sind, sondern in privater Hand. Wie viel Quadratmeter gekauft werden müssen, ist nach Aussage des Ministeriums offen, welche Quadratmeterpreise zu zahlen wären, unbekannt, und ob es eine Verkaufsbereitschaft überhaupt gibt, ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Das heißt, es gibt zeitliche Verzögerungen, wenn Eigentümer sich beispielsweise weigern sollten, Flächen zu verkaufen. Hinzu kommen Planfeststellungsverfahren, Umweltverträglichkeitsgutachten und vieles andere mehr. Maßnahmen, die einen Zeitraum – alles in der Summe – von ca. zehn Jahren bedeuten würden. Bis dahin ist die B 49 schon nicht mehr standsicher.
Widersprüche
Auf der einen Seite sagt das Land, bei der Tunnelvariante benötige man keinen Standstreifen im Tunnel, da verkehrslenkende Maßnahmen ergriffen werden können, wie die Videoüberwachung, Geschwindigkeitsbegrenzung… Auf der anderen Seite verlangt man bei den Hochstraßenüberlegungen eine Maximalbreite von etwas über 30 Metern, um Standstreifen anlegen zu können. Dass 30 Meter plus X auf der jetzigen Trasse nicht realisierbar sind, weiß jeder. Deshalb muss auch die Kernforderung lauten, und sie lautet so, das 1:1 zu ersetzen. Und es stellt sich die Frage, warum man auf der Hochstraße keine verkehrslenkenden Maßnahmen wie Videoüberwachung oder auch Geschwindigkeitsbegrenzung ergreifen kann. Dieses Argument sticht nicht, zumal die Pkw aus dem jetzigen Dalheimer vierspurigen Tunnel ohne Standstreifen herauskommen. Und wenn es wirklich einmal einen Unfall und damit Stau gibt, dann ist das so. Das kommt jeden Tag in Deutschland vor. Aber in den letzten Jahren ist dies unter Unfallaspekten kaum geschehen.
Das sagen Verbände und Bürgerinitiativen
Die Bürgerinitiative B 49 Hochstraße und die wiedergegründete A 480/Lahnau sind ebenso wie der Bauernverband oder LSV (Land schafft Verbindung) gegen die Umfahrung. Das Gleiche gilt für den Verein für Naturschutz Lahnau oder auch für den Zusammenschluss der Naturschutzverbände Lahn-Dill und Wetzlar, vertreten durch Rudolf Fippl, der den BUND repräsentiert, die Hessische Gesellschaft für Ornithologie, den NABU, den Landesjagdverband, die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, den Verband Hessischer Fischer und die Botanische Vereinigung. Sie alle kommen zum Ergebnis, dass die ökologischste Lösung der Wiederaufbau der Hochstraße sei. Sie kritisieren darüber hinaus, dass die B 49-Ausgleichsmaßnahme beim B 49-Ausbauabschnitt zwischen Dalheim und Wetzlar bis heute nicht umgesetzt ist.
Wenn man bedenkt, dass bei der vom Land Hessen und dem Verkehrsministerium favorisierten „Lösung“ Tunnel oder Einschnitt annähernd 30 Hektar wertvollste Ackerböden teilweise vernichtet werden, ein Erholungsgebiet vor der Haustür zerstört wird und der CO2-Ausstoß durch mehr gefahrene Kilometer steigt, so sind das ökologische und ökonomische Gründe, die nicht von der Hand zu weisen sind. Das hessische Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass im Jahr 2030 etwa 55.000 Fahrzeugbewegungen täglich gegeben sein werden. Wenn man „nur“ unterstellt, dass 30.000 Fahrzeuge die künftige Umfahrung nutzen, so sind das alleine 180.000 mehr Kilometer pro Tag oder 1,2 Millionen Kilometer pro Woche oder rund 60 Millionen Kilometer pro Jahr. Kleine Maßnahme – große Auswirkungen. Spätestens hier müsste eigentlich jedem umweltbewussten Grünen deutlich werden, dass diese Maßnahme unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten Unsinn ist.
Hochstraße machbar
Das Land argumentiert damit, dass die Hochstraßenlösung nicht möglich sei, weil es sich um einen Neubau handele und daher neue gesetzliche Mindestbreiten angewandt werden müssten. Dieses Argument teile ich ausdrücklich nicht, denn es geht hier um eine Kernsanierung einer bestehenden baufälligen vierspurigen Brücke, bei der breitentechnisch deshalb die alten Standards anzuwenden sind. Das Einzige, was aus meiner Sicht zwingend notwendig ist, sind zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen, wobei dies auch und gerade für den Bereich Garbenheim berechtigterweise gilt.
Die vom Ministerium genannte Zahl von 460 Millionen Euro ist aus meiner Sicht eine sehr gezielte, weil abschreckend wirkende Zahl, die mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat und die auch vom eigenen Ministerium vor zwei Jahren noch völlig anders bewertet wurde. Glaubwürdig ist das nicht. Es ist im Übrigen die einzige Lösung, die in zeitlich überschaubarem Maß durchgeführt werden kann. Der sogenannte Hochstraßenabriss, um den es geht, betrifft eine Länge von ca. 800 Meter, die final tatsächlich verschwinden würden. Alles andere würde bleiben, wobei man natürlich insgesamt bei einer Sanierung die Gesamtlänge sanieren muss. Technisch kein Problem. Man kann heutzutage sämtliche benötigten Streben vorfertigen, Stahlbetonteile, Stahlwannen vorfertigen, die alle sofort einsetzbar wären, wenn die Brücke im Bestand abgerissen wird.
Und noch etwas zur Bauzeit. Man könnte auch auf die Idee kommen, eine solche Baumaßnahme dadurch drastisch zu beschleunigen, indem man den bauausführenden Firmen zur Auflage macht, dass an sechs Tagen in der Woche von morgens bis abends, soweit die Helligkeit reicht, gearbeitet wird. Selbst wenn das etwas mehr kosten würde, wären das gut investierte ökologische und ökonomische Gelder, denn jahrelange Verkehrsstaus rund um Wetzlar kosten Zeit, Geld und belasten die Umwelt.
Deshalb ist das die einzig denkbare Variante, und das Land ist aufgefordert, diese Überlegungen seriös kurzfristig zu prüfen. Im Übrigen freue ich mich, dass der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Steffen Bilger, prinzipiell zugesagt hat, in den nächsten Monaten nach Wetzlar zu kommen, um sich selbst ein Bild zu verschaffen.
Über den Autor
Herausgeber Wetzlar Kurier