Kinderrechte im Grundgesetz

Wer Kinderrechte im Grundgesetz festschreiben will,
fördert die Verstaatlichung der Erziehung
und schwächt das Elternrecht

Über das Thema „Kinderrechte im Grundgesetz“ ist in den letzten Jahren häufig kontrovers diskutiert worden. 2013 und 2016 gab es schon einmal politische Initiativen von SPD, Grünen und SED/Linkspartei, die mit ihren entsprechenden Gesetzentwürfen allerdings im Bundestag scheiterten.

Das sagt das Grundgesetz:

Abgesehen davon, dass Deutschland 1992 der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen beigetreten ist mit dem Ziel der Wahrung der Kinderrechte weltweit, haben die Väter des Grundgesetzes 1949 in Artikel 6 Absatz 2 wie folgt formuliert:

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Damit ist sehr bewusst das Elternrecht in das Grundgesetz implementiert worden, und zwar gezielt als Abwehrrecht von Eltern gegenüber einem übergriffigen Staat, der wie in der Nazidiktatur oder später in der SED-Diktatur der „DDR“ versucht hat, Erziehung zu verstaatlichen, Kinder aus dem Einflussbereich der Eltern zu entfernen, um damit auch die Privatsphäre von Familien zu zerstören.

Eltern können das

Der Geist des Grundgesetzes von 1949 war ein liberaler Geist. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes gingen zunächst einmal davon aus, dass Eltern verantwortungsbewusst sind, dass sie ihre Kinder zu mündigen, selbstbestimmten Persönlichkeiten erziehen und ihre Kinder auf das Leben vorbereiten. Mit anderen Worten, der Staat traut Eltern und er vertraut ihnen, dass sie das Beste für ihr Kind zu erreichen versuchen.

Dass dies in der Lebenswirklichkeit leider nicht zu 100 Prozent bei allen Eltern gelingt, ist bekannt. Auch für diese Fälle sorgt der Staat vor. Er hat die Möglichkeit und im Übrigen die Pflicht, sich um Kinder zu kümmern, wenn Eltern erkennbar versagen. Und es sind mittlerweile rund 60.000 Fälle im Jahr, wo der Staat leider eingreifen muss. Er tut es im Interesse der Kinder, wobei – auch das gehört zur Wahrheit – Entscheidungen von Jugendämtern oder anderen Hilfsorganisationen ebenfalls nicht frei von Fehlern sind.

Koalitionskompromiss

Der Vorschlag des Koalitionsausschusses von Union und SPD sieht derzeit folgende Formulierung vor: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt (insgesamt) unberührt.“

Dieser Passus wurde vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Thorsten Frei nach langen und heftigen Debatten ausgehandelt, und wer Thorsten Frei kennt, weiß, dass er frei von Hintergedanken ist, seriös und verantwortungsvoll arbeitet und einen schwierigen Job übernommen hat, hier einen Kompromissvorschlag zu erarbeiten. Kinder sind bereits heute Träger aller Grundrechte, so wie sie im Grundgesetz formuliert sind. Das Grundgesetz weist deshalb keine Schutzlücke auf. Das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat ist in Artikel 6 des Grundgesetzes ausgewogen und klug formuliert.

Widerstand in der Union

Alle sind von der Glaubwürdigkeit und Integrität Thorsten Freis überzeugt. Dennoch gibt es in der Sache zunehmend Widerstand. Es gibt mittlerweile eine zweistellige Zahl von Abgeordneten, die dem Fraktionsvorsitzenden gegenüber deutlich gemacht haben, dass sie nicht bereit sind, einer Grundgesetzänderung zuzustimmen. Diese Grundgesetzänderung benötigt im Übrigen eine Zweitdrittel-Mehrheit, so dass man mit diesem Kompromiss auf die Oppositionsparteien zugehen muss, die ihrerseits die Bedingungen für eine Zustimmung entsprechend hoch hängen werden, so dass etwas anderes herauskommt, als es hier formuliert ist.

Diese Kritiker, zu denen ich auch gehöre, haben die Sorge, dass der Bundesarbeitskreis Christlich Demokratischer Juristen (BACDJ) recht haben könnte, indem er erklärt, dass ein geändertes Verfassungsrecht verständlicherweise auch eine geänderte Verfassungsrechtssprechung nach sich ziehen wird. Wenn auf Seiten der Union argumentiert wird, dass sich durch diese Formulierung praktisch nichts ändere, dann stellt sich aus meiner Sicht die prinzipielle Frage, wozu man das Ganze macht. Und natürlich wird, losgelöst von möglichen Veränderungen durch andere Fraktionen, die Einspruchsmöglichkeit des Staates steigen.

Wer Kinderrechte explizit erwähnt, wird verständlicherweise das Elternrecht zugunsten des staatlichen Mitbestimmungsrechtes zurückdrängen. Und das ist genau die Absicht derer, die für die Einführung von Kinderrechten in das Grundgesetz plädieren. Verfassungsrechtler Professor Gregor Kirchhof hat deshalb davor gewarnt, dass das grundgesetzlich gewährleistete Elternrecht zugunsten der Interventionsmöglichkeiten des Staates verschoben werden kann und auch offensichtlich verschoben werden soll. In die gleiche Kerbe schlug Verfassungsrechtler Professor Udo Di Fabio, der dazu in einem Artikel ausgeführt hat: „Der Ruf nach dem Staat führt zum Eindringen der öffentlichen Gewalt in diese privat abgeschirmte Sphäre, führt à la longue zu einer Vergesellschaftung der familiären Gemeinschaft.

Zu erinnern ist an Kardinal Karl Lehmann, der seinerzeit den ehemaligen SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, heutiger Finanzminister, kritisiert hatte, der formulierte: „Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern“. Die Einstellung, die dahinterstecke, sei rücksichtslos und zynisch. Das sei nicht nur ein flotter Spruch, sondern erinnere auch an sozialistische Herrschaftsansprüche über Ehe und besonders Familie, so Kardinal Lehmann damals. Professor Arnd Diringer erklärte zu der Debatte, dass es weniger darum gehe, Kindern Rechte zu geben, sondern darum, den Einfluss des Staates auf deren Erziehung zu erweitern. Auch das Aktionsbündnis für Ehe und Familie wies darauf hin, dass man dann den staatlichen Behörden im angeblichen Interesse der Kinder die Chance gebe, neue Zugriffs- und Bevormundungsmöglichkeiten wahrzunehmen.

Die wahre Motivation

Das Bundesverfassungsgericht hat festgehalten, dass ein Kind natürlich „ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit“ ist und bereits 2008 noch einmal hervorgehoben, dass ein Kind eine „eigene Würde und eigene Rechte“ hat und dass es „Rechtssubjekt und Grundrechtsträger“ ist. Die Frage ist, warum man trotz der klaren Definition gerade von linker Seite so darauf pocht, Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen. Erbitterter Streit zwischen Union und SPD über die Frage der Formulierung, ob das Wohl des Kindes „angemessen“ (CDU-Position) oder „vorrangig“ (SPD-Position) zu betrachten ist.

Dazu hilft ein Blick auf Aussagen von SPD-Politikern wie der ehemaligen Justizministerin Katarina Barley, jetzt Mitglied der SPD im Europaparlament, die erklärte, dass Kinder das Recht haben müssen, bei alltäglichen (!) Entscheidungen in der Familie mitzuwirken und dass Kinder eine stärkere Position haben müssen, wenn zum Beispiel ein Spielplatz geschlossen wird oder ein Zebrastreifen nötig ist. In die gleiche Richtung geht Familienministerin Franziska Giffey (SPD), die dadurch erreichen will, dass Kinder und Jugendliche bei städtebaulichen Fragen zwingend einzubinden sind, bei Fragen der Schulwegplanung, bei Entscheidungen der Verwaltung und Justiz, bei Entscheidungen im Krankenhaus, im Gesundheitswesen, und sie müssten ein Recht haben, mit einer eigenen Meinung gehört zu werden.

Entlarvend im Übrigen auch die Aussage der ehemaligen Familienministerin Renate Schmidt: „Wir müssen lernen, was Liebe ist. Da kann der Staat helfen.“ Bei aller Liebe, das kann der Staat nun wirklich nicht. Liebe geben Eltern – in aller Regel. Liebe gibt Familie und sonst niemand. Genauso entlarvend auch die aktuelle Bundesjustizministerin Lambrecht, die erklärte: „Wir wollen deutlich machen, wie wichtig uns (!) Kinder, ihre Entwicklung und die Wahrnehmung ihrer Rechte sind.“

Kinderschutzbund kritisiert

Dem Deutschen Kinderschutzbund ist dieser vorgelegte Kompromiss zu wenig. Man wolle echte Kinderrechte, so Verbandspräsident Hilgers. In dem Kompromiss fehlten Beteiligungsrechte von Kindern. Stattdessen sei nur von rechtlichem Gehör die Rede. Man wolle eben, dass Kinder mitentscheiden können bei der Frage, ob in einem Ort ein Spielplatz oder eine Tankstelle entsteht, ob eine Umgehungsstraße oder eine Wohnsiedlung gebaut wird.

Grüne

Aus Sicht der Grünen, so die kinder- und familienpolitische Sprecherin Ekin Deligöz, fehle im Entwurf der besondere Schutz der staatlichen Ordnung für Kinder und des Kindeswillens. Außerdem gebe es keine Beteiligungsrechte. Kinder müssten sich an Entscheidungen beteiligen können, die sie selbst beträfen.

Ohrfeige für Kommunalpolitiker

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Berliner Politiker keinerlei Rückkopplung mit der Kommunalpolitik haben. Was glauben eigentlich die in der Berliner Blase Sitzenden – das gilt verständlicherweise nicht für alle -, womit sich Kommunalpolitiker parteiübergreifend befassen? Es gibt ohne Kinderrechte im Grundgesetz natürlich Schulwegeplanungen. Es gibt Radwegeplanungen, Sicherheitsüberlegungen, was den Schulweg angeht, Ausstattungsoffensiven für Schulbauten, neue Schulbauten. Warum das Ganze? Weil man Kindern eine sichere und gute Zukunft geben will – parteiübergreifend! Und man stelle sich vor, das Ganze hat funktioniert ohne Beteiligung von Kindern an den Entscheidungen. Sollen Kinder, in welcher Form auch immer das geschehen soll, jetzt tatsächlich, wie es Rot-Rot-Grün will, an Entscheidungen, mit Vetorecht ausgestattet (?), beteiligt werden? Entscheidungen, die gewählte Kommunalpolitiker in Verantwortung für das Ganze treffen, losgelöst von Partikularinteressen.

Misstrauen gegenüber elterlicher Kompetenz

Was heißt das denn im Übrigen in der Praxis, wenn gefordert wird, dass Kinder das Recht haben sollen, bei alltäglichen (!) Entscheidungen in der Familie mitzuwirken? Sie sollen verbriefte Rechte erhalten. Wer definiert eigentlich Rechte? Damit wird den Kindern ein Klagerecht gegen Eltern eingeräumt. Was ist denn das für ein Familienverständnis? Hier wird ein unglaubliches Konfliktpotenzial in Familien getragen – Kinder gegen Eltern. Hier wird Bürokratie aufgebaut. Eine Klagewelle ist vorprogrammiert, so dass man auch von einem Förderprogramm für Juristen sprechen kann.

Wir brauchen keinen übergriffigen Staat, der meint, alles regulieren zu müssen. Der Staat geht ohnehin schon viel zu weit in die private Sphäre hinein. Und ich persönlich habe sehr viel Vertrauen in die elterliche Erziehungskompetenz, in die Verantwortungsbereitschaft der Eltern, in die Liebe der Eltern für ihre Kinder, die durch nichts zu ersetzen ist, wohlwissend, dass es im täglichen Leben auch im Einzelfall anders aussehen kann und manchmal auch leider anders aussieht. Das allein rechtfertigt nicht, dem Staat die Erlaubnis zu geben, zu definieren, was Kinderrechte sind. Deshalb ein klares Nein zur Änderung des Grundgesetzes.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier

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