Mediale Hatz auf einen Richter

Unabhängigkeit der Gerichte bedroht?

Die Unabhängigkeit der Justiz, der Gerichte ist das höchste Gut in einem Rechtsstaat. Aus der Vergangenheit - während der NS-Diktatur genauso wie zu Zeiten der SED-Diktatur im anderen Teil Deutschlands - wissen wir, dass Gerichte politisch instrumentalisiert wurden. Das heißt, Richter konnten nicht nach Recht und Gesetz Urteile sprechen, sondern waren verpflichtet, der jeweiligen Herrschaftsideologie – brauner Nationalsozialismus oder roter Sozialismus – entsprechend ihre Urteile zu fällen. Die Väter des Grundgesetzes haben deshalb zu Recht Wert auf die Weisungsunabhängigkeit der Gerichte gelegt. Soweit – so gut, oder anders ausgedrückt: Theorie und Praxis.

Das Amtsgericht Weimar hat kürzlich eine Geldbuße für einen Bürger, der gegen die thüringische Corona-Verordnung verstoßen hatte, für verfassungswidrig erklärt, da der Staat ein „Tabu verletzt“ und gegen die „als unantastbar garantierte Menschenwürde“ verstoßen habe. Außerdem seien aus medizinischer Sicht Begründungen für einschneidende Maßnahmen nicht immer nachzuvollziehen. Deshalb hob der Amtsrichter die Geldbuße auf, wobei es hier gar nicht um die Frage geht, ob Auflagen generell richtig oder generell falsch sind, vieles, was in Deutschland diesbezüglich gemacht wird, ist richtig, über manches kann man streiten -und man muss es vor allen Dingen kritisch hinterfragen dürfen. Aber darum geht es im Kern hier nicht.

Die Bild-Zeitung titelte „Sitzt in Weimar ein Querdenker auf dem Richterstuhl?“ und nannte den Richter mit vollem Namen. Focus Online zeigte das Bild des Richters und schrieb unter der Überschrift „Radikaler Maskengegner: Dieser Richter hätte niemals ein Corona-Urteil fällen dürfen“ Folgendes: „Ein Amtsrichter aus Thüringen klagt privat gegen staatliche Maßnahmen zum Schutz vor Covid-19. Dennoch darf er über den Fall eines Corona-Regelbrechers entscheiden. Er spricht ihn frei und schießt massiv gegen die Politik. Handelte der Richter neutral? Überparteilich? Unvoreingenommen? Zweifel sind angebracht.“

Wie Boris Reitschuster unter reitschuster.de mitteilte, stelle sich die Frage nach der Unabhängigkeit auch bei Focus Online, denn Focus Online gehöre zum Burda-Verlag. Dessen Berliner Repräsentanz werde vom Ehemann von Gesundheitsminister Jens Spahn geleitet. In dem entsprechenden Focus-Artikel heißt es weiter, dass man sich fragen müsse, inwieweit ein Richter seine eigenen Empfindlichkeiten und Überzeugungen zur maßgeblichen Grundlage eines Urteiles machen dürfe. Es stelle sich, so Reitschuster, die prinzipielle Frage, wonach denn sonst?

Jeder Richter müsse nach seiner Überzeugung auf der Basis geltenden Rechtes urteilen. Wenn man diese Frage ernst nehme, dürfe beispielsweise ein Richter, der in den Sozialen Medien die Kritiker der Corona-Maßnahmen kritisiert, keine Entscheidungen beispielsweise über versammlungsrechtliche Auflagen treffen, weil er ja, so dann die Logik, befangen sei. Kurzum, wenn Richter öffentlich an den Pranger gestellt werden, dann ist eine Treibjagd gegen sie eröffnet, und es besteht der Verdacht, dass man ein Exempel statuieren will. Richter sind auch nur Menschen. Sie versuchen, auf der Basis der gegebenen Gesetze ein Urteil zu fällen. Sie wägen Pro und Kontra ab, haben eigene Überzeugungen, und deshalb kommt es natürlich häufig auch zu unterschiedlichen Gerichtsurteilen. Ein Verwaltungsgericht entscheidet so, ein Oberverwaltungsgericht wieder anders. Es gibt unterschiedliche Richtervoten in den Senaten des Bundesverfassungsgerichtes, weil eben Richter aufgrund eigener Überzeugungen zu diesem oder jenem Urteil gekommen sind. Fotos, Namen von Richtern zu veröffentlichen, um sie öffentlichem Druck auszusetzen, ist ein No-Go und widerspricht dem Geist des Grundgesetzes der bewussten und berechtigten Unabhängigkeit der Justiz.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier

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