Beim Gendern geht es um mehr als Sprache

Die Revolution der Gesellschaft durch Sprache

Der ehemalige Generalsekretär der CDU Deutschlands, Professor Kurt Biedenkopf, langjähriger und höchst erfolgreicher Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, sprach Anfang 1973 bezugnehmend auf die sogenannte 68er-Generation und deren Revolte von einer „Revolution neuer Art: Es ist die Revolution der Gesellschaft durch Sprache… Sie besetzt Begriffe und damit die Informationen der freien Gesellschaft.“ Damals gab es den Begriff gendern genauso wenig wie 1948.

Orwell lässt grüßen

Als George Orwell 1948 sein berühmtes Buch „1984“ auf den Markt brachte, schaffte er einen Klassiker, der in beklemmender Vision eine Diktatur beschreibt, die Gedanken und Gefühle der Menschen bis ins Letzte steuert. Fake News, Hate Speech und anderes mehr gab es damals nicht. Aber George Orwell formulierte durch seine Romanhauptfigur Winston Smith wie folgt:

„Wir geben Neusprech den letzten Schliff… Wir merzen jeden Tag Wörter aus… Siehst du denn nicht, dass Neusprech kein anderes Ziel hat, als die Reichweite der Gedanken zu verkürzen?... Es ist lediglich eine Frage der Wirklichkeitskontrolle… Die Revolution ist vollzogen, wenn die Sprache geschaffen ist… Es wird überhaupt kein Denken mehr geben… Strenggläubigkeit bedeutet: nicht mehr denken zu müssen.“ Genau dies geschieht aktuell durch gezielte Sprachveränderung, um das Bewusstsein von Menschen zu verändern. Es geschieht durch selbst ernannte Political Correctness, die auf keiner inhaltlichen Veränderung der Gesellschaft fußt, sondern vorgegeben ist.

Und bei Gender geht es eben nicht um die Gleichberechtigung von Mann und Frau, sondern es geht um die Zerstörung des binären Geschlechterverständnisses von Mann und Frau, auf die Auslöschung des für unsere Ordnung zentralen Begriffs von Ehe und Familie. Es geht um die sogenannte „Cancel-Culture“, die dazu führt, Menschen auszugrenzen, zu diskriminieren, zu diskreditieren, frei nach dem Marxistischen Dreisprung „Diffamieren, Isolieren, Liquidieren“. Wie weit das gehen kann, konnte man vor wenigen Wochen an einer britischen Universität feststellen, wo ein Lehrer entlassen wurde, der am biologischen Unterschied zwischen Männern und Frauen öffentlich festhielt und damit gegen den selbsternannten, juristisch nicht haltbaren Gender-Kodex verstieß.

Mediale Bevormundung

Pseudo-Intellektuelle, Links-Intellektuelle und selbsternannte Fortschrittliche praktizieren dieses linke Sprachdiktat verstärkt in Behörden, teilweise durch Anordnung von Verwaltungsspitzen, in Kirchen und nicht zu vergessen in Redaktionen, die zum Gendern ermutigen und dem Vernehmen nach Leitfäden an die Hand geben, wie gendern richtig funktioniert. „Es ist nicht Aufgabe von Rundfunkanstalten“, so die Junge Union Hessen, „die Bevölkerung sprachlich umzuerziehen. Es ist die Aufgabe der Rundfunkanstalten, möglichst neutral über unterschiedliche Sachverhalte zu berichten.“ Zu den selbsternannten Erziehern gehören u.a. Claus Kleber vom ZDF, der das Gender-Sternchen, also Bürger-(Pause)-innen spricht, Petra Gerster, kurz vor ihrem Ruhestand, die mit „Glottisschlag“, also einem Zungenschnalzer, von Apotheker*innen spricht und meint erklären zu müssen, dass diese neue Form der Modernität besonders bei „älteren Männern“ umstritten sei. Dies ist eine Verballhornung der deutschen Sprache und der deutschen Kultur.

Offener Brief an Frau Gerster

„Hochverehrte Frau Gerster, (gender-vulgo: Gerster*in)!

Geschätzte Moderierende und Texte Ablesende!

„Sprache ist ja etwas Lebendiges. Sie verändert sich mit der Gesellschaft.“ Das sagen Sie? Aber die Sprache gehört dem Volk und nicht ver-ideologisierten Moderierenden semi-staatlicher Einrichtungen. Sie wollen sich von Jahrhunderten Sprachgeschichte emanzipieren und vergewaltigen von oben herab die Sprache eines Luther, eines Goethe, eines Schiller, eines Kant! Aber das sind ja „ältere Männer.“

Und mit Linguistik haben Sie sich sicher auch nicht befasst. Dennoch machen wir noch einmal einen Versuch und empfehlen Ihnen wenigstens die Lektüre des Essays des renommierten Sprachwissenschaftlers Peter Eisenberg aus der FAZ vom 8. Januar 2021 auf Seite 12. Eisenberg schreibt dort unter anderem: „Die Anhänger des sprachlichen Genderns wollen uns Vorschriften machen, kennen aber die Sprachgeschichte nicht.“

Aber lassen wir das! Ich nenne Ihnen zwei Gründe, warum die Briefe an Sie weniger werden. (Gerster hatte sich darüber beklagt, kritische Briefe erhalten zu haben, die aber weniger werden würden.) Erstens denken sich viele Leute frei nach Schiller „Mit Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“ (in: “Die Jungfrau von Orleans“). Oder sie denken an Kant und seinen Aufsatz „Über Schwärmerei und die Mittel dagegen“. Dort schreibt er: „Gegen redselige Unwissenheit hilft kein weitläufiges Widerlegen, sondern nur verachtendes Schweigen.“ Und dann eben zweitens: Immer mehr Leute meiden Ihre Sendungen. Man braucht sie nicht. Schade, Frau Gerster, dass Sie meinen, sich wenige Wochen vor Ihrer Versetzung in den Ruhestand der „Avantgarde“ der Sprachverhunzer anschließen zu müssen. Wir hätten Ihnen etwas mehr Sensibilität für unsere wunderbare Sprache zugetraut.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Josef Kraus“

Diesem Offenen Brief des Ehrenpräsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, ist nichts hinzuzufügen, außer dem Hinweis, dass der Duden auf seiner Internetseite duden.de erklärt hat, gendern zu wollen. Dann müsste er mit sich anfangen, denn der Duden ist männlich, die Duden ist weiblich, am besten schreibt man das Duda, und dann müssten alle Gender-Beladenen dieser Welt zufrieden sein.

Über den Autor

Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier

Bildergalerie

Aktuelle Ausgabe9/2024