SPD und Grüne wollen gemeinsame europäische Schulden

Eine Schuldenunion zerstört die europäische Idee

Vor wenigen Monaten beschloss die EU ein 750-Milliarden-Aufbauprogramm für die Europäische Union, um Corona-Folgen abzumildern. Dies war ein Bruch bisheriger Verträge, denn erstmals nimmt Brüssel gemeinsam Kredite auf, die zum allergrößten Teil als Zuschuss gezahlt werden und nur zu einem minimalen Teil als Kredit. Eine grundfalsche Entscheidung. Dass man helfen will, ist in der Sache richtig. Das geht aber nicht mit verlorenen Zuschüssen, die dazu führen, dass Italien als einer der größten Profiteure sofort erklärt hat, Steuern senken zu wollen, obwohl es Absichtserklärungen gibt, dieses Geld einerseits in die Zukunft investieren zu wollen und andererseits die Corona-Folgen abmildern zu wollen.

Knallharte Bedingungen für die Zuschussempfänger, beispielsweise verpflichtende Reformen oder Haushaltsdisziplin, gibt es nicht! Mit diesem Wiederaufbaufonds geht einher ein klarer Verstoß gegen die sogenannte Nicht-Beistandsklausel in den EU-Verträgen, wonach eine Haftung eines Landes für andere Mitgliedsländer ausgeschlossen ist. Eine erste Aufweichung gab es vor wenigen Jahren in der Eurokrise durch den sogenannten Rettungsschirm ESM, den man getrost als ersten Sündenfall bezeichnen kann. Noch im Frühjahr dieses Jahres hatte Brüssel vereinbart, dass der EU-Corona-Fonds eine einmalige Ausnahme bleiben soll.

Salami-Taktik

Jeder, der sich mit der EU intensiver befasst, wusste, dass diesen ersten Aufweichungsschritten - erstens ESM, zweitens Wiederaufbaufonds - weitere Schritte und Forderungen folgen werden. So hat die jetzige EZB-Chefin Christine Lagarde zusammen mit Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire gefordert, diesen Hilfsfonds dauerhaft einzurichten.

Verstaatlichung europäischer Schulden zu Lasten Deutschlands

Prompt forderte denn auch der Präsident des Europäischen Parlamentes, David Sassoli (Italien), einen ganzen Katalog radikaler EU-Formen. So forderte er u.a. die Einführung von Eurobonds, die Bündelung der Finanzpolitik in Brüssel und einen Schuldenerlass für klamme Länder. Mit anderen Worten, diejenigen, die in den vergangenen zehn Jahren vergleichsweise seriös und ordentlich gearbeitet haben wie Deutschland, sollen für die Schulden derer haftbar gemacht werden, die mit leichter Hand Geld ausgegeben haben. Zur Erinnerung: Die Staatsverschuldung Deutschlands insgesamt betrug nach der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 etwa 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Offiziell erlaubt sind EU-weit 60 Prozent. Deutschland gelang es auf allen staatlichen Ebenen, vor allen Dingen durch den Wirtschaftsaufschwung, guter Steuereinnahmen und politischer Rahmenbedingungen, diese Verschuldung bis Anfang 2020 auf rund 59 Prozent zu senken. Im gleichen Zeitraum explodierte die Staatsverschuldung in Griechenland, Spanien, Italien, Frankreich. Statt in guten Zeiten zur Verbesserung der Liquidität beizutragen, wurden weiter munter Schulden fabriziert. Der Schuldenstand Italiens liegt heute bei ca. 160 Prozent, die der anderen genannten EU-Staaten in ähnlicher Größenordnung. Durch die staatlichen Hilfsprogramme, die Deutschland aktuell gefahren hat, sind wir bedauerlicherweise wieder bei etwas über 80 Prozent angelangt. Aber gemessen an der Entwicklung in anderen europäischen Staaten ist Deutschland exzellent aufgestellt.

„Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“

Eine alte Weisheit, die zeitlos richtig ist, denn die Verfügbarkeit finanzieller Mittel wird angesichts der fehlenden Kreditwürdigkeit der genannten Staaten nicht besser, sondern ist logischerweise schlechter geworden. Im Nachhinein zu sagen, man vergemeinschaftet die Schuldigen, ist eine Ohrfeige für jeden seriös wirtschaftenden Staat in Europa.

Scholz (SPD) und Habeck (Grüne) haben Unrecht

Geht es nach dem Grünen-Chef Robert Habeck und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sollen gemeinsame europäische Schulden aufgenommen werden. Ihre merkwürdige Argumentation: Nur Solidarität könne Europa retten. Wenn Solidarität allerdings ausschließlich darin besteht, Europafreundlichkeit mit Geldtransfers zu erkaufen, dann ist die Grundidee eines freiheitlichen und friedlichen Europas gescheitert. Der Kommentator der „Welt am Sonntag“, Klaus Geiger, hat vor einigen Wochen treffend formuliert: „Wer die europäische Idee verteidigen will, muss deshalb nicht für, sondern gegen gemeinsame Schulden sein. Die Bürger der EU werden nur in Frieden zusammenleben, wenn sie das Gefühl haben, dass jeder für seine Ausgaben haftet und dass Sparsamkeit und Tüchtigkeit belohnt werden.“

Scholz hatte den Corona-Wiederaufbau-Fonds als „Europas Hamilton-Moment“ bezeichnet. Er erinnert damit an den ersten US-Finanzminister, der 1790 verfügt hatte, dass die Zentralregierung der USA für die Schulden der damals 29 Bundesstaaten haften muss. Das Ergebnis war absehbar. Die US-Bundesstaaten lebten hemmungslos auf Pump, und 50 Jahre später gingen einige von ihnen dann auch bankrott.

Eine starke EU bedeutet Schuldenabbau durch Reformen, höhere Produktivität und Wachstum, und wenn jemand zwischenzeitlich in Schieflage geraten sollte, ist Solidarität zu Recht angefragt, aber auf der Basis von Krediten und der Bindung an Bedingungen. Sonst funktioniert es nicht. Manchmal hat man den Eindruck, es gibt Bestrebungen, die Schulden entweder durch Inflation zu mindern oder gar durch eine Währungsreform, denn wenn man sieht, was man unter der EZB an unverantwortlicher Gelddruckmaschinen-Politik in den letzten Jahren vollzogen hat, dann kann man durchaus zu einer solchen Befürchtung kommen. Dies würde im Übrigen die Sparsamen bestrafen und die Sorglosen belohnen. Die Spannungen in der EU würden dadurch verschärft, und es wäre nicht die Vollendung des europäischen Friedensprojektes, sondern sein Ende, wie der Kommentator richtig schreibt.

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Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier

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