Infektionsschutzgesetz:
Warum ich mit NEIN gestimmt habe

Von MdB Hans-Jürgen Irmer

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, glaubt man den Verlautbarungen der Wetzlarer Neuen Zeitung und ihres Redakteurs Jörgen Linker, dann stehe ich „abseits“, ich werde medial in die Nähe so genannter „Aluhutträger“ und Verschwörungstheoretiker gerückt. Eine in meinen Augen bewusst inszenierte und diffamierende Kampagne.

Bereits in der Oktober-Ausgabe des Wetzlar-Kurier habe ich mich von jeglichen Verschwörungstheorien distanziert. Ich habe betont, dass der Ausbreitung des Virus durch Abstand, Mundschutz und Hygienemaßnahmen entgegen zu treten ist. …denn ohne Gesundheit ist alles nichts.

Ob darüber hinaus gehende Maßnahmen immer zielführend sind, darüber kann man trefflich streiten. Unser Problem in Deutschland ist mittlerweile, dass man kaum noch in der Lage ist, Argumente der Gegenseite anzuhören, abzuwägen, mit eigenen Positionen zu vergleichen, um dann zu einer individuellen Beurteilung zu kommen. Stattdessen läuft man prinzipiell Gefahr, wenn man nicht dem Mainstream angehört, sofort als Corona-Leugner diffamiert zu werden, obwohl kein rational denkender Mensch auf die Idee käme, den Bestand des Virus zu leugnen. Das Virus ist da. Es wird uns vermutlich, in welcher mutierten Form auch immer, noch eine Zeitlang begleiten, so wie das Grippevirus, an das wir uns gewöhnt haben, ebenso.

WNZ-Berichterstattung

In dem Artikel von Redakteur Linker wurde über mein Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag zum Bevölkerungsschutzgesetz berichtet. Bei der Abstimmung am 18. November hatte ich gegen den Gesetzentwurf gestimmt.

Die journalistische Sorgfalt hätte es wohl geboten, dass ein Redakteur anruft und fragt: Sie haben dagegen gestimmt, was waren Ihre Beweggründe? Ein solcher Anruf erfolgte jedoch bis heute nicht. Stattdessen hat die WNZ Argumente unvollständig und Zitate unzutreffend abgedruckt.

Meine Beweggründe

Deshalb möchte ich hier die Gelegenheit nutzen, meine Haltung zu erläutern.

1. Ich habe meinem parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion im Vorfeld mitgeteilt, dass ich nach langer und reiflicher Überlegung und intensiver Befassung mit dem Gesetzentwurf dagegen stimmen werde. Ich habe mitgeteilt, dass ich mir wünschen würde, dass wir die Beurteilung der Lage auf breitere wissenschaftliche Schultern legen. Bei aller hohen Akzeptanz des RKI, das in der Vergangenheit allerdings auch fehlerhafte Einschätzungen getroffen hat, würde ich mir wünschen, dass wir das Helmholtz-Institut, das Paul-Ehrlich-Institut, um nur zwei zu nennen, und andere Wissenschaftler in Form eines wissenschaftlichen Beirates einbinden, um aus unterschiedlichsten medizinischen Fachbereichen zu einer Gesamtbewertung zu kommen. Es würde im Übrigen auch die Akzeptanz bei denen, die das Ganze etwas kritischer sehen, deutlich erhöhen, wenn man wüsste, dass eine breitest mögliche Beteiligung unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachrichtungen vorangegangen ist. Sich ausschließlich auf das RKI zu verlassen, halte ich für falsch und nicht wissenschaftsgerecht.

2. Ich würde mir eine Vorgehensweise wie im Saarland wünschen. Dort unterstützen alle (!) Fraktionen des Landtages das Vorhaben der Landesregierung, wonach vor einer Entscheidung über Schulschließungen, Ausgangssperre… der Ministerpräsident im Landtag, begründet mit Zahlen, Daten, Fakten, darstellen muss, warum er zu dieser oder jener Auffassung kommt, und dann entscheidet das Parlament. Das halte ich für den richtigen Weg.

3. Es ist prinzipiell richtig, dass die Rolle des Bundestages durch das Gesetz gestärkt wurde, weil der Bundestag (das konnte er vorher allerdings auch schon) jederzeit Maßnahmen und Beschlüsse an sich ziehen kann, die auf dem Wege der Verordnung vorab erlassen worden sind. Gleichwohl reicht es mir persönlich nicht aus, dass ein Ministerium auf dem Verordnungswege so erhebliche, Freiheitsrechte einschränkende Maßnahmen anordnen kann, ohne dass das Parlament im Vorfeld eingebunden ist. Deshalb ist der Weg des Saarlandes für mich zumindest der richtige.

Meine Positionen muss man nicht teilen, aber ich nehme mir die Freiheit heraus, nach meinem Gewissen so zu entscheiden, wie ich entschieden habe - und ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Es waren im Übrigen 31 Abgeordnete von CDU/CSU, die nicht zugestimmt haben, acht haben sich dagegen ausgesprochen, fünf der Stimme enthalten und 18 haben, aus welchen Gründen auch immer, nicht teil genommen. Hinzu kamen zahlreiche sogenannte Protollerklärungen, die man beim Bundestagspräsidenten hinterlegt, in denen man zum Ausdruck bringt, man stimmt zwar zu, in Kurzform ausgedrückt, hat aber in dem ein oder anderen Punkt Bedenken.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass FDP, Linke und AfD aus ganz unterschiedlichen Gründen teilweise durchaus ähnlich ebenfalls nicht zustimmten.

Und schließlich habe ich mir erlaubt, parteiintern darauf hinzuweisen, dass die Schnelligkeit, mit der dieses Gesetz verabschiedet wurde, es für einen normalen Abgeordneten unmöglich macht, in der Kürze der Zeit seriös Änderungsanträge durchzuarbeiten. Der Vorwurf der Opposition in dieser Frage, was Tempo und Schnelligkeit angeht, ist durchaus berechtigt.

Hinzu kommt: Mir wird in besagtem Artikel unterstellt, ich hätte gesagt, dieses Gesetz sei ein „Persilschein für die Exekutive“. Dieses Zitat stammt nicht von mir, sondern vom Verfassungsrechtler Professor Papier, der im Übrigen wie auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages (!) oder auch Verfassungsrechtler Prof. Scholz erhebliche juristische Probleme sieht, die man nicht teilen muss, aber teilen kann. Und ich schätze beide Verfassungsrechtler in hohem Maße.

E-Mails im Vorfeld

Es ist noch nie vorgekommen, dass ich im Vorfeld einer Abstimmung rund 3000 E-Mails bundesweit erhalten habe, in denen ich darum gebeten wurde, nicht zuzustimmen. Darunter gab es unter anderem Verschwörungstheoretiker oder Menschen, die das Gesetz mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis 1933 verglichen, was an Absurdität nicht zu überbieten ist. Es gab aber auch eine Vielzahl sehr individueller und gut argumentierten Mails, in denen in unterschiedlicher Form Sorge zum Ausdruck gebracht wurde - über 100 an der Zahl aus dem Lahn-Dill-Kreis.

Dankesbriefe aus ganz Deutschland

Im Nachgang zu der Abstimmung habe ich E-Mails aus ganz Deutschland erhalten, mit einem ausdrücklichen Dank für erwiesenen Mut. Im Prinzip ist es schade, dass man für das, was in der Verfassung steht, nämlich die Gewissensfreiheit des Abgeordneten, Mut aufbringen muss, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. In Sonntagsreden wird die Gewissensfreiheit der Abgeordneten beschworen, doch in der Praxis sieht das manchmal leider etwas anders aus. Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht und bin nach Abwägung aller Argumente für mich zu dem genannten Ergebnis gekommen. Dies kann man kritisieren - und es gab natürlich auch welche, gerade in den sozialen Netzwerken, die das gemacht haben -, damit muss man in der Politik leben, aber ich stehe zu meiner Entscheidung.

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Aktuelle Ausgabe04.04.