Ehemaliger Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen in Wetzlar

Fortschreitende Erosion des Rechtsstaates =
reale Gefahr für die Demokratie

Vor zwei Jahren schied Hans-Georg Maaßen nach sechs Jahren aus dem Amt als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Nicht ganz freiwillig, wie bekannt. Und unter Umständen, die nach Überzeugung wertkonservativer Kreise in Deutschland, vor allem in der CDU und CSU, weder rechtlichen Erfordernissen noch fachlichen Schwächen, sondern ausschließlich der herrschenden "Political Correctness" zuzuschreiben sind. "Ich hätte gerne auf diese öffentliche Aufmerksamkeit verzichtet", merkte Maaßen als Gast der CDU Lahn-Dill auf einer Veranstaltung in der Siedlerklause/Bürgerhaus Büblingshausen vor einer coronabedingt nur 90-köpfigen Zuhörerschaft an.

"Wie stabil ist unserer Demokratie?" lautete denn auch das Thema seines Vortrages, zu dessen Einleitung Hans-Jürgen Irmer, MdB und CDU-Kreisvorsitzender, auf die Selbstverständlichkeit - die in unserem Land aber leider keine mehr zu sein scheint - hinwies, das (vom Mainstream) abweichende Meinungen als Wesen der Demokratie zu akzeptieren und zu tolerieren sind. Niemand müsse der Meinung eines anderen sein, aber es muss laut Irmer als Ergebnis der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit akzeptiert und toleriert werden, dass es unterschiedliche, abweichende und auch völlig gegensätzliche Meinungen, zu welcher Thematik und Problematik auch immer, gebe.

Alte Werte der CDU stärken

Mit Blick auf Veranstaltungen zum Beispiel von Wolfgang Schäuble, Thomas de Maiziere und Thilo Sarrazin, aber auch von vielen anderen mehr, die von Gegnern gestört und verhindert werden, sieht Hans-Jürgen Irmer eine "partielle Gefährdung der Demokratie". Gewalt gegen Sachen und Personen sei "völlig inakzeptabel", gleich welcher Partei, die demokratisch in die Parlamente gewählt wurden, diese Personen angehören. Demokratisches Verhalten schließe ein, doch auch einmal darüber nachzudenken, ob jene, die eine andere Meinung vertreten, "vielleicht doch ein wenig Recht haben könnten".

In diese Richtung argumentierte auch Hans-Georg Maaßen. Der heute 57-Jährige habe auf die Frage, was er denn nach seinem Ausscheiden aus dem Amt nun tun könne oder wolle, für sich selbst und andere nicht mit der Antwort des seinerzeitigen letzten Sachsenkönigs reagiert: "Macht euren Dreck alleene ..." Er, Maaßen, verschreibe sich der Aufgabe, "die alten Werte der CDU zu stärken". Werte, die er mit den Namen Helmut Kohl oder Manfred Kanther und anderen mehr verbinde, vermisse er leider heute.

Rechtsstaat erodiert

"Ich selbst habe mich nie als 'Rechten' gesehen, möchte aber, dass das in Deutschland geltende Recht auch angewandt wird", beschrieb Maaßen seine Position. Rechtsstaatlichkeit sei die Herrschaft des Rechts, unter dem alle Bürger, beginnend beim Bundespräsidenten, stehen. Diese Art Rechtsstaatlichkeit sei aber mittlerweile leider ein Problem. Maaßen verwies auf den ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier und den Staatsrechtler Rupert Scholz, die von der "Aushöhlung und schrittweisen Erosion des Rechtsstaates" sprächen, weil das Recht in Deutschland nicht mehr auf alle angewandt werde. Maaßen spricht von einem "doppelgesichtigen Rechtsstaat", weil dieser einerseits Park- und Steuersünder zurecht strikt belange, andererseits aber im Görlitzer Park in Berlin Drogenhändler gewähren lasse.

Es seien auch 250.000 Personen, die sich in Deutschland aufhalten, rechtskräftig ausreisepflichtig. Aber noch nicht einmal zehn Prozent würden tatsächlich abgeschoben. Einige links regierte Landesregierungen lehnten Abschiebungen grundsätzlich ab. "Das führt zur Erosion des Rechtsstaates und gefährdet die Demokratie - und deshalb sind Rechtsnormen zweierlei Klassen nicht akzeptabel." Das Recht darf nicht unter irgendeiner Moral oder jedweder Ideologie stehen, ist die klare Position Maaßens. Das gelte auch für den Klimaschutz, mit dem das freitägliche Schulschwänzen gerechtfertigt werde. Geltendes Recht werde auch in diesen Fällen nicht angewandt. Es werde aber auch nicht geändert, um Schulschwänzen zugunsten des Klimaschutzes zu legalisieren.

Die Demokratie ist laut Maaßen in Deutschland zwar verankert, jedoch nicht so gefestigt wie in anderen Staaten. Denn Demokratie sei, wenn auch die beste, so doch eine "teilweise instabile Staatsform". Ihr Ziel sei maximale Freiheit für jeden und zugleich Schutz nach innen und außen. "Das ist eine diffizile Aufgabe", in die auch das Bundesamt für Verfassungsschutz eingebunden sei. Dessen Aufgabe sei der Schutz der Verfassung und der sich daraus ergebenden freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Land.

Gefahren für die Demokratie

Diktaturen würden in der Regel mit Gewalt gestürzt. Eine Demokratie müsse im Zweifel nicht "weggeputscht" werden, so Maaßen, "das kann auch subtil auf dem Weg des Marsches durch die Instanzen geschehen". Maaßen sieht Gefahren für die Demokratie unter anderem im islamistischen Terror, der das Vertrauen der Menschen in die Wehrhaftigkeit des Staates unterminieren und auf diese Weise Instabilität schüren solle. Die Zahl der Islamisten und Salafisten sei in Deutschland stark gestiegen. Ebenso die Zahl der Rechtsextremisten, insbesondere die der gewaltbereiten. Rechtsextremismus habe eine andere Gesellschaftsordnung zum Ziel. In der klaren Abgrenzung gegenüber dem Rechtsradikalismus seien sich die Parteien allerdings einig. Er vermisse jedoch eine ebenso klare Abgrenzung der linken Parteien im Land gegenüber dem Linksextremismus.

"Hass" und "Hetze" sind laut Maaßen keine politischen Begriffe. Politisch Andersdenkende mit diesen zu belegen, um sie auszugrenzen und mundtot zu machen, "ist eine Gefährdung der freien Meinungsäußerung". Leider seien laut Umfragen 70 Prozent der Deutschen der Meinung, "dass sie nicht mehr alles sagen dürfen". Deshalb müsse "die Politik" die Sorgen dieser Menschen bezüglich der Meinungsfreiheit endlich aufnehmen. "Denn ohne Meinungsfreiheit kann Demokratie nicht funktionieren."

Meinungsvielfalt auf dem Rückzug

Obwohl Diskussionen um den richtigen Weg auf allen Feldern von Politik und Gesellschaft essentiell für die Demokratie seien, werde in Deutschland leider nicht mehr diskutiert, ein Austausch von Argumenten findet nicht mehr statt. "Demokratie aber schließt die Diskussion mit Menschen ein, die eine andere, vielleicht sogar eine extrem andere Meinung haben." Die Demokratie halte dies aus. Dabei seien die Medien eigentlich eine "essentielle Grundlage" zum Funktionieren der Demokratie. Allerding habe er große Sorge im Blick auf die Meinungsvielfalt in Deutschland.

Besonders, wenn er an die "Öffentlich-Rechtlichen" denke, deren gesetzlicher Auftrag eine breite und ausgewogene Berichterstattung sei. Er müsse jedoch feststellen, dass es diese nicht mehr gibt, so Maaßen. "Konservative Journalisten und Kommentatoren: Fehlanzeige." Es bereite ihm "großes Unbehagen", erleben zu müssen, dass sich "die mehr und mehr links-grünen" öffentlich-rechtlichen Medien derart von ihrem Auftrag lösten.

Im Blick auf Europa glaubt Maaßen nicht an eine gemeinsame Asylpolitik. Es gebe Länder, die sehr wohl wirklich im Sinne des eigentlichen Asylrechts Schutz gewähren und dies auch weiterhin tun wollen, die sich jedoch dagegen zur Wehr setzten, "die Tür für alle zu öffnen". Maaßen bezeichnete sich nicht als "Herzens- sehr wohl aber als Verstandes-Europäer". Deutschland müsse ebenso wie die anderen Länder ein Interesse an einem stabilen und starken Europa haben: "In einer immer unsicherer werden Welt brauchen wir ein Europa, das zusammenhält." Dabei müssten alle Staaten eingebunden werden. Deutschland müsse sich jedoch von dem Gedanken und Versuch verabschieden, anderen Staaten aufoktroyieren zu wollen, wie diese beispielsweise ihre Sicherheits- und Migrationspolitik zu gestalten haben.

Über den Autor

Franz Ewert

Bildergalerie

Aktuelle Ausgabe12/2024