Der gigantischen russischen atomaren Aufrüstung
setzen Bürgermeister „Friedensflagge“ entgegen

Das Bemühen um atomare Abrüstung ist ohne jeden Zweifel ehrenwert. Es wäre wunderbar, wenn diese Welt endlich ohne Atomwaffen oder gar Waffen generell auskommen könnte. Doch dies ist frommes Wunschdenken. Es geht nicht um Emotionen, sondern es geht um Rationalität, um Vernunft. „Deshalb“, so der heimische CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer, „kann ich die sehr naive Forderung des Magistrates der Stadt Wetzlar nicht nachvollziehen, wenn dort die ‘Mayors for Peace-Flagge’ im Beisein von kirchlichen Würdenträgern und dem Arbeitskreis Frieden gehisst wird.“ Diese Diskussion habe man schon einmal in den 80er Jahren gehabt, als sich friedensbewegte Kommunen mit rot-grüner Mehrheit zu „Atomwaffenfreien Zonen“ erklärten, entsprechende Schilder am Ortseingang anbrachten und damit mannhaft für Abrüstung eintraten. In den Zeiten des Kalten Krieges wäre es einer russischen SS20-Rakete völlig egal gewesen, ob sie in der Atomwaffenfreien Zone Braunfels „einschlägt“ oder in Dillenburg, das sich damals beispielsweise nicht dieser Bewegung anschloss.

Die deutsche Friedensbewegung in den 80er Jahren war für eine einseitige Abrüstung. Die damalige Sowjetunion hätte sich mit Sicherheit darüber gefreut. So hatte sie auf der anderen Seite zum Glück einen Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), der den Nato-Doppelbeschluss initiiert hatte, fortgeführt von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) und unterstützt vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, der im Kern sagte, man sei bereit, abzurüsten, wenn dies gegenseitig nachprüfbar und beweisbar wäre. Wenn die sowjetische Seite nicht bereit sei, werde man die Sowjetunion „totrüsten“, so der damalige Wortlaut des amerikanischen Präsidenten Reagan, der den Worten Taten folgen ließ.

Das Ergebnis in Kurzform: Die Sowjetunion war wirtschaftlich nicht in der Lage, diesem Kurs zu folgen, und ihr damaliger Präsident Gorbatschow hat auch sehr schnell erkannt, dass man mit dieser Politik die Probleme im Inneren des Landes nicht lösen kann und deshalb zur Perestroika, der Entspannungspolitik, der Öffnung der Grenzen zum Durchbruch verhalf.

Es grenzt schon an Selbstüberschätzung, wenn ein Pfarrer des „Arbeitskreises Frieden“ in einer Presseerklärung vor wenigen Tagen erklärt, dass der Bibeltext „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen“ grundlegend dafür verantwortlich war, das Wunder des Wiederaufbaus von Ost und West eingeleitet zu haben. Zum Hintergrund: Als Chamberlain und Daladier 1938 das Münchner Abkommen mit Nazi-Deutschland unterzeichneten, in dem territoriale Forderungen Hitlers im Bereich der Tschechoslowakei/Sudetenland akzeptiert worden waren, ließen sich diese zu Hause von ihren Völkern dafür feiern, den Frieden gerettet zu haben. Den Rest der Geschichte kennen wir. Für die damalige Sowjetunion hätte überhaupt kein Anlass bestanden, auf ihre eigene Rüstung zu verzichten, wenn der Westen einseitig ohne Bedingungen abgerüstet hätte. Die gleiche Debatte haben wir heute wieder.

Russische Aufrüstung

Diejenigen, die sich völlig gefahrenlos in Deutschland in Form von Demonstrationen für die einseitige Abrüstung einsetzen, können dies gerne tun. Überzeugender wäre es, wenn man diese Demonstration einmal in Peking oder Moskau organisieren würde, um die dortigen Diktatoren davon zu überzeugen, auf ihre Aufrüstung gigantischer Art zu verzichten. Die Nato hat vor wenigen Wochen erst öffentlich ihre Sorge zum Ausdruck gebracht über die gigantische atomare Aufrüstung Russlands und vor allen Dingen die technologische Weiterentwicklung russischer Waffen, denen der Westen unter Verteidigungsaspekten (!) nichts entgegenzusetzen hat.

Russland hat Marschflugkörper namens SSC8 entwickelt, die knapp 2000 Kilometer Reichweite haben und damit Westeuropa erreichen können. Es gibt ferner eine neue Bodenluftrakete „Kinschal“, die mit zehnfacher Überschallgeschwindigkeit fliegt, und es gibt den Gleitflugkörper „Awangard“, der mit einer Rakete in den Weltraum geschossen wird. Dort trennt sich der Gleiter von der Rakete und ist nicht mehr für das Radar erfassbar. Erfassbar nur dann, wenn er auf feindlichem Territorium explodiert.

Diesen Hyperschallwaffen hat die Nato nichts entgegenzusetzen. Und es ist doch auch die Frage erlaubt, warum Russland ein massives U-Boot-Ausbauprogramm mit dem neuen U-Boot-Typ „Borei“ gestartet hat, das eine Reichweite von rund 8000 Kilometern hat, atomar mehrfach bestückt ist und damit von allen Teilen der Welt eine Bedrohung des freien Westens darstellt. Auf diese Fragen gaben und geben diese Friedensbewegten von damals wie die Friedensbewegten von heute keine Antwort. Diese Einseitigkeit der Diskussion ist gefährlich, weil sie suggeriert, man müsste nur einseitig abrüsten und schon wären die Probleme dieser Welt gelöst. Falsch, grundfalsch.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich ist eine Welt ohne Atomwaffen ein erstrebenswertes Ziel. Solange aber kommunistische Diktaturen wie Russland und vor allem China ihre Hegemonial-Ansprüche nicht aufgeben, kann und darf sich der Westen nicht einseitig schwächen. Je schwächer der Westen, desto weniger die Notwendigkeit potenzieller Aggressoren, Druck abzubauen. Das Gegenteil würde der Fall sein. Und ob man nun an einem eigentlich neutralen Rathaus eine Flagge aufhängt oder nicht, es wird weder Moskau noch Peking interessieren. Das Traurige ist, dass sich honorige Vertreter von bürgerlichen Gruppierungen zum Handlanger von Links machen und deren ideologische Interessen bedienen und es dabei nicht einmal merken.

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Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier

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