Zweierlei mediales Maß

Ungarn und Italien

Im Rahmen der Corona-Krise wurde die ungarische Regierung unter Ministerpräsident Orban vom ungarischen Parlament (!) mit umfassenden und unbefristeten Vollmachten ausgestattet, um die notwendigen Maßnahmen einleiten zu können, die im Übrigen erfolgreich waren. Die moralisierenden westeuropäischen Staaten witterten sofort eine Entmachtung des Parlamentes und entrüsteten sich über Orbans „Corona-Diktatur“. Wieder einmal war Ungarn zum Feindbild Nummer 1 geworden. Die Medien stürzten sich willfährig auf diese Kritik, statt ihrer eigentlichen Rolle zu entsprechen, nachzufragen, was denn tatsächlich beschlossen wurde.

Tatsächlich hat auch während der Pandemie das Parlament die ganze Zeit weiter getagt und Beschlüsse gefasst, die nichts mit der Pandemie zu tun hatten. Losgelöst von der normalen parlamentarischen Arbeit hatte das Parlament jederzeit (!) die Möglichkeit, die Vollmachten, die das Parlament ausgestellt hat, zurückzunehmen. Die Regierung hat dann am 27. Mai selbst im Parlament ein Gesetz zur Rücknahme der Vollmachten eingebracht. Diese sind mit dem 20.6. dieses Jahres ausgelaufen. Ein Sturm im Wasserglas.

„Wohltuende“ Berichterstattung über Italien

Wie „wohltuend“ doch die Berichterstattung über Italiens Ausnahmezustand. Es war eine kleine einspaltige Zehn-Zeilen-Notiz in einer großen deutschen Zeitung im Juli dieses Jahres, in der darüber berichtet wurde, dass Italiens Premierminister Giuseppe Conte den Ausnahmezustand (!) wegen Corona bis Ende dieses Jahres verlängern möchte, so dass ausschließlich die Regierung entscheiden kann, was zu tun ist. Das Parlament zeigte sich ob des Wunsches sehr irritiert. Man stelle sich einmal vor, Viktor Orban hätte die ihm vom Parlament bewilligten Vollmachten zeitlich bis Jahresende ausdehnen wollen. Die Leitartikler hätten sich wieder einmal überschlagen.

Dank an Ungarn

Gelegentlich kann man daran erinnern, dass es die Ungarn waren, die 1956 sich gegen die sowjetische Besatzung aufgelehnt haben. Ihr Aufstand wurde blutig niedergeschlagen und ihr Nationalheld Imre Nagy wurde im Juni 1958 hingerichtet. Nicht zu vergessen auch, dass 1989 die Ungarn mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs nach Österreich den ersten Stein aus der Mauer zwischen den beiden Staaten auf deutschem Boden gebrochen haben. Und wir sollten den Ungarn dankbar dafür sein, dass sie 2015 mit der Schließung der Grenzen den Asylantenzustrom nachhaltig unterbrochen haben und dazu beitrugen, dass die Zahlen, auch durch die Hilfe anderer Länder, deutlich zurückgegangen sind.

Warum Ungarn sich immer auf der Zielscheibe sich moralisch überlegen fühlender Westeuropäer befindet, kann man schwer ergründen. Man kann Vermutungen anstellen. Vielleicht liegt es daran, dass Ungarn sehr bewusst das traditionelle Bild von Gesellschaft, Gemeinschaft und von Familie hegt und pflegt, es nicht zu den Verfechtern einer Ehe für alle gehört und man sich nicht auf die grün-rot gegenderte Ideologie einlässt, sondern klar und eindeutig das Primat der Familie betont.

So heißt es in der ungarischen Verfassung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und auf Menschenwürde, dem Leben des Embryos gebührt von der Empfängnis an Schutz.“ Soweit der Artikel 2. In Artikel 1 heißt es: Ungarn schützt die Familie als Grundlage des Fortbestandes der Nation. Ergo hat man ein unglaublich familienförderndes Gesamtprogramm aufgelegt, das europaweit vermutlich einzigartig sein dürfte mit dem Ergebnis, dass in den letzten zehn Jahren die Zahl der Kinder pro Frau von 1,25 auf 1,5 gestiegen ist, die Zahl der Abtreibungen von 40.000 auf 25.000 sank, die Eheschließungen von 35.000 pro Jahr auf 65.000 zunahmen und die Ausgaben für Familienpolitik sich von 3,5 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt auf 4,87 Prozent erhöhten. Familienpolitische Leistungen, die europaweit einzigartig sein dürften.

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Hans-Jürgen Irmer
Hans-Jürgen Irmer
Herausgeber Wetzlar Kurier

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