Irmer kritisiert Verteidigungsministerium

Ehemaliger deutscher ISAF-Soldat aus Lahnau will und kann
seinem Land dienen - darf es aber nicht

Vier Ordner füllen die Schriftlichkeiten, Korrespondenzen, Eingaben und Anträge mittlerweile. Sie dokumentieren die seit nun zehn Jahren andauernden Bemühungen des ehemaligen Zeitsoldaten Thomas S. aus Lahnau, seinen Berufswunsch, bei der Bundeswehr auf dem Wege der Wiedereingliederung erneut eine Anstellung - und ausdrücklich keinen "Job" - zu finden. Das gestaltet sich aber kompliziert und schwierig. Und es zehrt an den Nerven des Betroffenen, beeinträchtigt zunehmend seine Lebensqualität.

Thomas S., inzwischen 41 Jahre alt, könnte sich eine schnelle und wenig komplizierte Regelung seines Falles vorstellen. Aber nicht nur er selbst und seine Eltern, mit denen er praktisch unter einem Dach lebt, sondern auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer, an den sich Thomas S. in seiner Not gewandt hat. Alle seine Unterstützer müssen jedoch zur Kenntnis nehmen, dass die Bundeswehr aus dem Anliegen ihres ehemaligen Soldaten eine Hängepartie gemacht hat. Bis heute, da sich mittlerweile Gerichte mit der Angelegenheit befassen müssen. Zunächst war es das Sozialgericht, aktuell ist es das Verwaltungsgericht Gießen. Und die Justiz ist, so scheint es, wohl der letzte Rettungsanker für das Anliegen des 41-jährigen Vaters einer Tochter im Jugendalter.

ISAF-Einsatz in Afghanistan mit Folgen

Thomas S. erlernte den Beruf des Kfz-Mechanikers und verpflichtete sich 2003 für acht Jahre als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr. Bald musste er erleben, was es heißen kann, Soldat zu sein. Von 2005 bis 2007 gehörte er als Stabsunteroffizier des Heeres der ISAF-Truppe in Afghanistan an. Mit allem, was an Einsatzformen dazugehört, vom Wachdienst im Camp der deutschen Kräfte in Kabul bis zum Außeneinsatz, "wo man beschossen werden kann und wird bis zur Detonation eines Sprengsatzes in der Nähe". Das sei aber sozusagen "normal". Anderes eher nicht.

Hier sein gravierendstes Beispiel schlimmer Erfahrungen auf der eher menschlichen Ebene, mit - zeitversetzt - schwer zu verdauenden Folgen. Ein Mann erscheint mit einer verletzten und vor Schmerzen schreienden Frau zum Eingang des Camps, das Thomas S. zu diesem Zeitpunkt zu bewachen hatte. Er durchsucht die Sachen des Mannes und findet in einem Behältnis zwei verkohlte Säuglingsleichen. Erschlagen und verbrannt, nur weil es Mädchen waren, wie sich später herausstellte.

Die Gesundheit verschlechtert sich

Kaum in Deutschland zurück erfolgte der Befehl zum Auslandseinsatz im Kosovo. Dieser Einsatz aber sei im Vergleich zu Afghanistan ein "Kindergeburtstag" gewesen. Am Ende seiner achtjährigen Dienstzeit bei der Bundewehr ging es Thomas S. gesundheitlich immer schlechter. Das Nichtverarbeitenkönnen des in Afghanistan Erlebten und der Suizid eines Kameraden wegen genau solcher unbewältigter traumatischer Probleme ließ den Stabsunteroffizier aus Lahnau bundeswehr-medizinische Betreuung in Anspruch nehmen. Zunächst medikamentös, dann stationär. Im Bundewehr-Krankenhaus in Koblenz. Dort waren und sind derartige als "posttraumatische Belastungsstörung PTBS" fachkundig bezeichneten psychischen Probleme "bestens" bekannt.

Thomas S. wurde als dienstunfähig entlassen. Was folgte, waren unter anderen über 20 Krankenhausaufenthalte. Was nicht folgte, bei Zeitsoldaten allerdings eigentlich üblich ist, war eine schulische Weiterbildung, um später einen zivilen Beruf ausüben zu können. Auch die finanzielle Absicherung war eher fragil: Übergangsgeld, Versorgungskrankengeld vom Versorgungsamt und derzeit Leistungen aus Mitteln der Kriegsopferfürsorge nach dem Soldatenversorgungsgesetz.

Arbeitsagentur nicht zuständig

Letzteres auch, da sich die Agentur für Arbeit bezüglich eines Antrages von Thomas S. auf "Leistungen zur Teilhabe" (geregelt im Sozialgesetzbuch III) für nicht zuständig erklärt hat, da die gesundheitlichen Einschränkungen des Antragstellers aufgrund einer Wehrdienstbeschädigung entstanden sind. Die Arbeitsagentur hat mit Schreiben vom November 2919 diesen Ball somit wieder an die Bundeswehr zurückgespielt. Mit dem wichtigen Hinweis, dass Thomas S. laut Mitteilung des Bundesamtes für Personalmanagement der Bundeswehr ein "anerkannter Versorgungsberechtigter" sei. Denn dem Lahnauer Ex-Soldaten wurde im Februar 2018 auf dem Wege einer außergerichtlichen Einigung mit dem ehemaligen Dienstherrn eine "Postreaktive Störung" mit einem 30-Prozent-Schädigungsgrad anerkannt. Die Klage auf Anerkennung einer PTBS hat S. bereits 2012 beim Sozialgericht Gießen eingereicht.

Aufgrund dieser Einigung und Anerkennung nach sechs Jahren erfolgte im März 2018 der Antrag auf Wiedereinstellung in den Dienst der Bundewehr, der mittlerweile zwei Mal abgelehnt wurde. In der mehrseitigen - und nach Darstellung von Thomas S. in Teilen fragwürdigen Begründung der Ablehnung fällt dem Antragsteller, aber nicht nur diesem, eine Formulierung sehr unangenehm auf. Dass nämlich "eine Wiedereinstellung für das der Bundeswehr in der Öffentlichkeit nicht dienlich ist". Für eine solche Sicht der Dinge Verständnis aufzubringen, falle ihm sehr schwer.

Zwischen den Stühlen

Zwischenfazit: Thomas S. kommt sich vor wie der Schwarze Peter im gleichnamigen Kartenspiel. Ab 2014 habe er auch versucht, über das Job-Center beruflich wieder Fuß zu fassen. Mit dem Hinweis, dass es sich im Falle des Lahnauers um ein laufendes Verfahren handele, in das das Job-Center aber nicht involviert sei, ging diese Tür erst gar nicht auf. "Arbeitsamt und Job-Center erklärten sich für nicht zuständig, weil ich keine Leistungen von ihnen erhielt und für beide Behörden wohl auch nicht krank genug war. Für die Bundeswehr wiederum war ich aber zu krank, um wieder eingegliedert zu werden", erklärt Thomas S. seine unbequeme Lage zwischen den Stühlen.

2016 reichte er beim Sozialgericht Gießen Klage auf Feststellung der Wehrdienstbeschädigung. In 2018 hielt er sich zur amtsärztlichen Untersuchung für drei Wochen in Berlin auf. 2018 bescheinigte ihm das Wetzlarer Karriere-Center der Bundeswehr (das frühere Kreiswehrersatzamt), dass die Bedingungen für eine Wiedereingliederung in die Bundeswehr vorliegen. Seit 2019 ist nun das Verwaltungsgericht Gießen mit dem Verwaltungsstreitverfahren Thomas S. ./. Bundesrepublik Deutschland" befasst. Dass seine Personalakte ebenfalls teils auf verschlungenen Pfaden unterwegs war - warum zum Beispiel auch beim Karriere-Center in Kassel? -, passt für den Lahnauer ins Bild.

Hoffnungsanker Verwaltungsgericht

Im Januar 2020 hat das Verwaltungsgericht Gießen diese Personalakte beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr angefordert. Nachdem das Gericht dann zweimal, Mitte Februar und Anfang März, an die erbetene Übersendung erinnert hat, befindet sich Akte nun endlich in Gießen. Mit dieser Tatsache verbindet Thomas S. sogleich die Hoffnung auf einen baldigen Verhandlungstermin in eigener Sache, erkennt hierin wohl auch die letzte Chance auf die von ihm sehnlichst angestrebte Wiedereingliederung in die Bundeswehr. Was laut Rechtslage offensichtlich möglich ist. Aber den Willen und das Wollen der einen wie der anderen Seiten voraussetzt. Bei Thomas S. Wollen und Willen vorhanden. Und auf Seiten der Bundeswehr? Denn bereits zweimal, im September 2018 und im Februar 2019, hat diese den Antrag von Thomas S. auf Wiedereinstellung abgelehnt. Damit will sich Thomas S. aber nicht zufrieden geben. Deshalb ist nun das Verwaltungsgericht am Zuge.

"Unwürdiges Behördengeschacher"

Für den Bundestagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer, zu dessen Wetzlarer Wahlkreisarbeit mit an oberster Stelle der Einsatz für die Belange all derer gehört, die sich mit Problemen, Anliegen und Bitten unterschiedlichster Art an ihn wenden, ist der Umgang der Bundeswehr - und damit letztlich das Bundesverteidigungsministerium - mit einem ihrer früheren Angehörigen nicht nachvollziehbar - und kritikwürdig. Über Monate und Jahre würde dem ehemaligen Soldaten, "der sich letztlich im Dienste seines Vaterlandes gesundheitliche Schädigungen zugezogen hat", nicht nur nicht geholfen, sondern man lege ihm auch immer wieder Steine in den Weg. Obwohl Thomas S. bereit, willen und fähig sei für eine Beschäftigung unter dem Dach der Bundeswehr. Irmer nennt es ein "unwürdiges Behördengeschacher zu Lasten eines Dritten", der eigentlich Unterstützung verdient habe, jedoch ähnlich einem Ping-Pong-Spiel zwischen die Mühlen der Bürokratie geraten sei. Und das in der Summe nun seit einem Jahrzehnt. Eine im Sinne des Gesetzes praktizierte "Fürsorgepflicht des Dienstherren" sieht laut Irmer anders aus. Und an dieser Stelle sollte sich durchaus auch das Bundesverteidigungsministerium hinterfragen ...

 

Über den Autor

Franz Ewert

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