Stadtverordnetenversammlung unter „Corona-Bedingungen“

In der derzeitigen Corona-Situation kann man sicherlich nicht von „Alltag“ sprechen.

Bereits die Stadtverordnetenversammlung im Februar war schon eine besondere Situation: Wir konnten an zwei Sitzungstagen den städtischen Haushaltsplan für die Jahre 2020 und 2021 nicht fertig beraten und verabschieden. Die Vorschläge, die auch von uns als CDU gekommen waren, eine zusätzliche Sitzung am 3. März stattfinden zu lassen, wurden von der Rathauskoalition verneint. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir den Haushalt in der notwendigen Ausgiebigkeit fertig diskutieren und dann verabschieden können.

Kurze Zeit später, nachdem das Corona-Virus auch in Deutschland, in Hessen und bei uns in Wetzlar aufgetreten ist, hat sich die Situation verändert. Der Oberbürgermeister hat darauf bestanden, dass der Haushalt beschlossen wird. Dies hat er in einem Brief am 17.3. an den Stadtverordnetenvorsteher und die Fraktionsvorsitzenden deutlich gemacht. Er hat weiterhin auf die Hessische Gemeindeordnung (HGO) hingewiesen und auf seine - als direkt gewählter Oberbürgermeister - darin verbrieften Sonderrechte aufmerksam gemacht.

Auf Grundlage des § 70 HGO kann der Oberbürgermeister Entscheidungen treffen und Maßnahmen anordnen, ohne dass er Beschlüsse beispielsweise des Magistrates eingeholt hat. Er muss den Magistrat dann lediglich unverzüglich informieren. Diese Regelung greift insbesondere dann, wenn in dringenden Fällen der Magistrat nicht tagen kann bzw. keine Beschlussfassung möglich ist. Die Corona-Pandemie ist nach meinem Dafürhalten ein dringender Fall.

Demnach hätte der Oberbürgermeister die Rechte, in dieser besonderen Ausnahmesituation Entscheidungen ohne Beschlüsse der städtischen Gremien zu treffen. Davon wollte er keinen Gebrauch machen, er bestand auf die Beschlussfassung durch die Stadtverordnetenversammlung. Als CDU-Fraktion haben wir schon sehr früh kritisiert, dass die angesetzten Termine für die Ausschusssitzungen und die Stadtverordnetenversammlung nicht verschoben bzw. gestrichen wurden.

Nach einigen Telefonaten und einigem Hin und Her haben sich die Ausschussvorsitzenden und der Stadtverordnetenvorsteher darauf geeinigt, dass die Ausschüsse abgesagt werden. Der Stadtverordnetenvorsteher Udo Volck hielt aber daran fest - wahrscheinlich auch getrieben durch die Äußerungen des Oberbürgermeisters -, dass die Stadtverordnetenversammlung tagen sollte. Nach seiner Aussage je eher desto besser, weil die Fallzahlen im Zusammenhang mit Corona dann noch nicht so hoch seien. So hat er den Ältestenrat einen Tag eher einberufen. Bereits hieran hat von der CDU-Fraktion niemand physisch teilgenommen, weil wir zu dieser Zeit bereits kritisiert haben, dass Sitzungen im Rathaus stattfinden! So wurde ich als Fraktionsvorsitzender telefonisch dem Ältestenrat zugeschaltet.

Meine Anregungen den Ältestenrat und auch andere Gremien der Stadt per Telefon- oder Videoschaltung abzuhalten, wurden bislang nicht aufgegriffen und berücksichtigt. Der Ältestenrat hat den Termin für die Stadtverordnetenversammlung auf den 20. März vorgezogen. Man hat sich darauf geeinigt, dass nur die „notwendigsten Beschlüsse“ gefasst werden sollten. Dazu gehörte insbesondere der städtische Haushalt. Zudem sollte für die Zeit der Corona-Pandemie der Finanz- und Wirtschaftsausschuss als „Notausschuss“ bestimmt werden, so dass die Stadtverordnetenversammlung zunächst nicht mehr tagen muss, sondern alle Entscheidungen, die auf kurze Sicht zu treffen sind, vom „Notausschuss“ getroffen werden können.

Eine Reihe von Grundstücksangelegenheiten wurden behandelt und der Wirtschaftsplan des Eigenbetriebes „Stadthallen Wetzlar“ wurde beschlossen. Als ein zentraler Punkt für die Entwicklung unserer Stadt wurde die Bauleitplanung für das Parkhaus Goethestraße auf den Weg gebracht. Wir als CDU haben nur in reduzierter Mannschaftsstärke an der Stadtverordnetenversammlung teilgenommen. Wir konnten so Fraktionsmitglieder, die einer Risikogruppe direkt angehören oder täglich mit Menschen zu tun haben, die einer Risikogruppe angehören, schützen.

Bereits zum Zeitpunkt der Stadtverordnetenversammlung hatten die Bundeskanzlerin, die gesamte Bundesregierung und verschiedene Landesregierungen sowie der Landrat des Lahn-Dill-Kreises Zusammenkünfte von mehreren Menschen untersagt und dazu aufgerufen, Zuhause zu bleiben. Am Tag der Stadtverordnetenversammlung hat der Hessische Ministerpräsident, Volker Bouffier, zusammen mit dem Hessischen Sozialminister verordnet, dass Versammlungen von mehr als zwei Personen verboten sind! Die Stadtverordnetenversammlung hat mit 44 Stadtverordneten, einer Vielzahl von Magistratsmitgliedern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung und Zuhörern getagt.

Aus unserer Sicht war die Stadtverordnetenversammlung zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig! Die eigentlich zu führenden Diskussionen beispielsweise im Rahmen des Haushalts und der noch offenen Anträge dazu sowie insbesondere zur Bauleitplanung des Parkhauses Goethestraße sind aufgrund der besonderen Situation ausgeblieben. Für uns geht damit eine kontroverse politisch-inhaltliche Diskussion verloren, was dem demokratischen Prozess in unserer Stadt abträglich ist!

Darüber hinaus wurde leichtfertig die Gesundheit der Menschen, die an der Stadtverordnetenversammlung teilgenommen haben, deren Angehörigen und der gesamten städtischen Bevölkerung gefährdet. Auch die zur Sitzung getroffenen Sicherheitsmaßnahmen konnten, wenn überhaupt, nur bedingt schützen.

Wenn die Anordnungen heißen, dass nur das Allernotwendigste zu erledigen ist und dabei Versammlungen von Menschen untersagt sind, dann halte ich es auch für fragwürdig, dass die Stadtverordnetenversammlung, die auch eine Vorbildfunktion für die Menschen in unserer Stadt hat, zusammentritt und in dieser Form Beschlüsse fasst.

In der besonderen Situation wird uns einmal mehr bewusst, wie wichtig es ist, dass wir zusammenhalten und uns an die Vorgaben halten. Also bleiben Sie, wenn es geht, Zuhause!

Wir danken den Menschen, die in den Bereichen der kritischen Infrastruktur tätig sind, von Herzen für ihre Arbeit! Das sind insbesondere Berufstätige im Bereich der Energie- und Wasserwirtschaft, im Bereich IT und Telekommunikation, im Bereich Finanz- und Versicherungswesen, im Bereich Transport/Logistik/Verkehr, im Bereich Ernährung und ganz besonders im Bereich Gesundheit! Der Dank gilt außerdem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung, der Polizei, der Feuerwehren und der Rettungs- und Hilfsdienste. Ihnen allen gebührt in besonderer Weise Dank und Anerkennung.

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Michael Hundertmark
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