Josef Kraus befürwortet Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe, mahnt aber Maß, Ziel und Mitte an

Zum Wohle der betroffenen jungen Menschen: Thema Inklusion entideologisieren und versachlichen

„Inklusion“ ist ein ebenso aktuelles wie strittiges Thema. Unter dem Titel „Inklusion zwischen Ideologie und Kindeswohl“ beschäftigte sich mit Josef Kraus ein Mann mit „klarer Kante“ mit der Inklusion an und in Schulen. Der 68-jährige war bis vor zwei Jahren Direktor eines bayerischen Gymnasiums und wurde vor allem bekannt als streitbarer und prinzipientreuer Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes, an dessen Spitze er drei Jahrzehnte lang stand. Er sprach auf Einladung des CDU-Kreisverbandes Lahn-Dill in „Tasch's Wirtshaus“ zum Thema.

Kraus steht der „Inklusion“ keineswegs ablehnend gegenüber. Inklusion als „Ziel“ sei wichtig und richtig, Inklusion als „Weg“ könne aber falsch sein. Insbesondere, wenn, wie in Nordrhein-Westfalen unter roter und grüner Verantwortung gescheitert, eine „Radikal-Inklusion“ praktiziert werde. In Deutschland besuchen rund 300.000 Kinder und Jugendliche (das entspricht vier Prozent aller Schülerinnen und Schüler) mit höchst unterschiedlichen Behinderungen und Einschränkungen eine von 3000 Förder- oder Sonderschulen, in denen sie von 45.000 Förderschullehrern unterrichtet werden. Dabei verfügt Deutschland laut Kraus über eine „großartige Infrastruktur in Sachen Förder- und Sonderschulen“.

Kraus spricht sich für eine Inklusion „so weit wie möglich“ aus und verweist dabei auf die „Grenzen gemeinsamer Beschulbarkeit“. Das Wohl des Kindes sei der entscheidende Faktor, die Wege dorthin aber unterschiedlich, denn letztlich gehe es um die berufliche, soziale und gesellschaftliche Eingliederung der jungen Menschen. Auf diesem Weg müsse unbedingt vermieden werden, dass Kinder der „Inklusionspraxis“ nicht gewachsen sind. „So viel Inklusion wie möglich - so viel Differenzierung wie nötig“, lautet der Rat des erfahrenen Pädagogen, der die grundsätzliche Debatte über die Inklusion für gut und richtig erklärt, aber beklagt, dass diese allzu oft nicht sachlich geführt werde. „Eine verbale Mäßigung würde dem Diskurs gut tun“, so Kraus.

Er habe das Gefühl, dass mit dem Inklusionsthema die „Egalisierungsdebatte der 1970er Jahre“ („was nicht alle können, darf keiner können, was nicht alle haben, darf keiner haben“) fortgeführt werde, womit man sich wieder auf einem „ideologischen Minenfeld“ bewege. Aber nichts sei so ungerecht wie „die Gleichbehandlung Ungleicher“. Und Inklusions-Skeptiker sofort mit der „Faschismuskeule“ zu drohen, sei völlig abwegig.

„Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zugleich ein Sisyphos- und Mammutunternehmen“, so Kraus, dessen Ziel die Teilhabe betroffener Menschen und der Abbau von Barrieren sei. Aber nicht nach dem System „alles oder nichts, schwarz oder weiß, ja oder nein“, sondern mit einem sinnvollen „sowohl als auch“. Je weniger ideologisch die Inklusion betrieben werde, desto erfolgreicher werde sie sein. Dabei helfe gar ein Blick in die „inklusionserfahrenen“ nordischen Länder, die von den „Inklusions-Fanatikern“ gerne als leuchtende Beispiele bemüht werden.

Laut Kraus geht man beispielsweise in Schweden und Norwegen mittlerweile wieder einen anderen Weg in Sachen Inklusion, weg vom alles oder nichts. Denn hier wie dort ist das ein Ergebnis des „Egalisierungs-Wahns“ das gleiche: aus hochbegabten Schülerinnen und Schülern werde eine „vernachlässigte Minderheit“. Kraus bedauert, dass „kein deutscher Kultusminister die Worte 'Elitenbildung' und 'Hochbegabtenförderung' in den Mund nimmt“. Dabei ist sich Kraus mit dem Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer, der viele Jahre bildungspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion war, einig, dass unser Land wirtschaftlicher, geistiger und politischer Eliten dringend bedarf, „Elite hat eine sehr wichtige soziale Funktion“.

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