Berlin-Splitter

Wahl des Bundespräsidenten steht an

Wahlen zum Staatsoberhaupt sind für mich etwas Besonderes. Bei den vergangenen vier Bundespräsidentenwahlen, an denen ich teilnehmen durfte, standen immer gestandene Persönlichkeiten zur Wahl, die sich auf die eine oder andere Weise um unser Land verdient gemacht haben. Dennoch waren es verschiedene Charaktere, die für unterschiedliche Amtsverständnisse und politische Schwerpunkte standen. Im Kern ging es bei jeder Wahl des Bundespräsidenten um moralische Führung im Kontext der jeweiligen Zeit und die Frage der Repräsentation unseres Landes nach Außen und Innen. So auch dieses Mal, wenn sich unter anderem Bundeaußenminister Frank-Walter Steinmeier um das Amt bewirbt.

Ich kenne Außenminister Steinmeier mittlerweile recht gut. Mir hat imponiert, wie verschwiegen er als Kanzleramtsminister unter dem damaligen Bundeskanzler Schröder die umfassendste Sozial- und Arbeitsmarktreform der Nachkriegszeit vorbereitet und schlussendlich auch durchgesetzt hat, die heute unter „Agenda 2010“ oder „Hartz4“ bekannt ist. Vor gut drei Jahren habe ich im Auftrag meiner Partei unter anderem mit ihm den außen-, verteidigungs-, entwicklungs- und menschenrechtspolitischen Teil des Koalitionsvertrages ausgehandelt. Dabei habe ich zwei Dinge an ihm schätzen gelernt: 1. Man kann sich auf seine Zusagen verlassen. Und 2. Er ist einer sachlichen und fundierten Argumentation und Diskussion gegenüber offen und beharrt nicht auf „heiligen Kühen“. Es hat sich im besten Sinne des Wortes „pragmatisch“ gezeigt und das rechne ich ihm vor allem vor dem Hintergrund der schwierigen Konstellation der letzten Koalitionsverhandlungen hoch an.

Kandidat Steinmeier ehrlich bewerten
Leider hat er in den letzten Wochen und Monaten auch Erklärungen abgegeben, die ich nicht gutheißen kann – insbesondere in Bezug auf Russland und die USA. Er hat in meinen Augen die Gefahren, die von Putins Politik ausgehen, entweder falsch eingeschätzt oder verharmlost, indem er beispielsweise das Aufheben von Sanktionen gegenüber Russland befürwortet. Dazu habe ich in meinem Newsletter des Öfteren berichtet. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Präsidentschaftswahlen in den USA. Als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland hat er sich nicht nur herablassend während des US-Präsidentschaftswahlkampfes über Donald Trump geäußert – er hat Trump nach seinem Wahlsieg noch nicht einmal gratuliert. Ich finde, als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland ist es eine Frage des Anstands, auch Kandidaten und Präsidenten zu gratulieren, die man persönlich für unsympathisch oder politische schwierig hält. Das gebietet der Respekt vor der demokratischen Entscheidung der amerikanischen Wähler – andernfalls stellt man sich auf eine Stufe mit denen, die man kritisiert.

Doch bei aller Kritik überwiegen natürlich seine Verdienste um unser Land. Insofern glaube ich, ist er eine gute Wahl für das Amt des Bundespräsidenten und ich werde ihm auch meine Stimme geben. In Zeiten der Unsicherheit und politischen Orientierungslosigkeit vieler Gesellschaften des Westens ist er eine Wahl, die für Verlässlichkeit und Vertrauen steht. Daher hoffe ich, dass er am 12. Februar die Mehrheit der Stimmen der Bundesversammlung erhält.

Neuer Bundespräsident muss Debattenkultur in Gesellschaft vorantreiben
Bundespräsident Gauck ermahnt uns, dass jeder einzelne nach Wahrheiten und Lösungen suchen und sich in die Debatte einbringen muss, auch wenn das unbequem ist. Wir müssen vor allem mit denen in ein echtes Gespräch kommen, die anderer Meinung sind und dabei den Gegenüber und seine Argumente und Überzeugungen respektieren, auch wenn das schwerfällt. Gleichzeitig muss die Politik sich auch auf die Probleme der Menschen konzentrieren, die bislang vielleicht zu kurz gekommen sind oder sich von der Entwicklung abgehängt fühlen.

Unser Land braucht eine Gesellschaft und Politik, die miteinander korrespondieren und dabei die besten Lösungen für komplexe Probleme finden. Ich hoffe, dass dies der künftige Bundespräsident aufgreift und weiterführt. Sonst übernehmen das andere für uns – und das kann nicht in unserem Interesse sein.

Herzlichst
Ihre Sibylle Pfeiffer

Über den Autor

Sibylle Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Entwicklungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (bis 2017)
Aktuelle Ausgabe4/2024